Kausalität im Dienstunfallrecht der Beamten / Auffahrunfälle
Ein Beispiel dafür, wie sich Generationen von Juristen (und Medizinern) an einzelnen Problemen abarbeiten können, bietet der ewige Streit um Kausalitätsfragen bei HWS-Verletzungen nach Auffahrunfällen.
Generationen nicht nur deshalb, weil die einzelnen Verfahren so lange dauern können, sondern auch deshalb, weil sich einzelne Problemfelder und Fragestellungen nicht einheitlich bewerten bzw. beantworten lassen und jahrzehntelang um die richtige Bewertung gerungen wird.
Im Bereich des Schadensersatzrechts (insbesondere nach Verkehrsunfällen) ist die Bedeutung von Auffahrunfällen seit langem heftig umstritten. Es gibt unzählige einander widersprechende Gutachten und Gerichtsurteile. Warum sollte es da im Beamtenrecht anders sein?
Bemerkenswert ist ein Urteil des VG Düsseldorf vom 09.01.15 mit dem Aktenzeichen 13 K 3583/13, welches Sie in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW im Internet finden.
Dort wird anerkannt, dass eine Pensionierung 20 Jahre nach einem als Dienstunfall anerkannten Auffahrunfall unfallbedingt ist und der Beamte Anspruch auf Zahlung eines Unfallruhegehalts hat. Aber das dürfte ein nahezu einmaliger Ausnahmefall gewesen sein.
Außerordentlich lesenswert ist ein in NJW 2020, 3176 ff. abgedrucktes Urteil des BHG vom 23.06.20 - VI ZR 435/19 mit einer sehr instruktiven Erläuterung von Rechtsanwalt Dr. Thomas Almeroth. Zwar betrifft das Urteil zivilrechtliche Aspekte, aber die Ausführungen fördern das Verständnis für prozessuale Fragen ungemein.
Das folgende Urteil, schon etwas älter, beleuchtet die heute wohl immer noch überwiegend vertretene, skeptische Auffassung.
Verwaltungsgericht Koblenz, Urteil vom 13.03.07, 6 K 442/06.KO
Der Auffahrunfall einer Lehrerin, die schon zuvor an einem Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom gelitten hatte, ist nicht als Dienstunfall anzuerkennen.
(Zur Kausalität im Dienstunfallrecht.)
Die Klägerin wurde auf dem Weg zum Schuldienst in einen Auffahrunfall verwickelt. Nach dem Unfall klagte sie über vermehrte Hals- und Lendenwirbelsäulenbeschwerden und begehrte die Anerkennung als Dienstunfall. Dies lehnte die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion ab und führte zur Begründung aus, die Klägerin leide schon seit über zwanzig Jahren an Vorschädigungen der Hals- und Lendenwirbelsäule, auf die die Beschwerden zurückzuführen seien. Nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Dienstunfälle, so das Verwaltungsgericht Koblenz, müssten in engem Zusammenhang mit der Beamtentätigkeit stehen. Nicht dienstbezogene Risiken wie persönliche Anlagen, Gesundheitsschäden oder Abnutzungserscheinungen habe nicht der Dienstherr, sondern der Beamte selbst zu tragen. Habe ein Leiden mehrere Ursachen, sei nur diejenige für die Anerkennung als Dienstunfall relevant, die den anderen gegenüber von überragender Bedeutung sei und die den Schadenseintritt entscheidend mitgeprägt habe. Unbeachtlich seien dagegen so genannte Gelegenheitsursachen, die rein zufällig im Dienst geschehen seien und bei jedem anderen nicht zu vermeidenden Anlass in naher Zukunft genauso eingetreten wären. So sei es aber bei der Klägerin gewesen. Sie habe zwar nach dem Unfall zusätzliche Beschwerden gehabt. Deren wesentliche Ursache sei aber nicht in dem Auffahrunfall, sondern in ihrer Vorerkrankung zu suchen.
Der Auffahrunfall einer Lehrerin, die schon zuvor an einem Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom gelitten hatte, ist nicht als Dienstunfall anzuerkennen.
(Zur Kausalität im Dienstunfallrecht.)
Die Klägerin wurde auf dem Weg zum Schuldienst in einen Auffahrunfall verwickelt. Nach dem Unfall klagte sie über vermehrte Hals- und Lendenwirbelsäulenbeschwerden und begehrte die Anerkennung als Dienstunfall. Dies lehnte die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion ab und führte zur Begründung aus, die Klägerin leide schon seit über zwanzig Jahren an Vorschädigungen der Hals- und Lendenwirbelsäule, auf die die Beschwerden zurückzuführen seien. Nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Dienstunfälle, so das Verwaltungsgericht Koblenz, müssten in engem Zusammenhang mit der Beamtentätigkeit stehen. Nicht dienstbezogene Risiken wie persönliche Anlagen, Gesundheitsschäden oder Abnutzungserscheinungen habe nicht der Dienstherr, sondern der Beamte selbst zu tragen. Habe ein Leiden mehrere Ursachen, sei nur diejenige für die Anerkennung als Dienstunfall relevant, die den anderen gegenüber von überragender Bedeutung sei und die den Schadenseintritt entscheidend mitgeprägt habe. Unbeachtlich seien dagegen so genannte Gelegenheitsursachen, die rein zufällig im Dienst geschehen seien und bei jedem anderen nicht zu vermeidenden Anlass in naher Zukunft genauso eingetreten wären. So sei es aber bei der Klägerin gewesen. Sie habe zwar nach dem Unfall zusätzliche Beschwerden gehabt. Deren wesentliche Ursache sei aber nicht in dem Auffahrunfall, sondern in ihrer Vorerkrankung zu suchen.
Dies ist nicht etwa ein Einzelfall. Die rechtliche (und vor allem: medizinische) Bewertung der Folgen von Auffahrunfällen beschäftigt Zivilgerichte seit Jahrzehnten im Zusammenhang mit dem Schadensersatz nach Verkehrsunfällen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich wiederholte Male geäußert und dem Ganzen ein wenig Struktur gegeben. Entscheidungen finden Sie u. a. in NJW 2003, 1116; NJW 2008, 2845 und NJW-RR 2008, 1380. Wichtig sind die gesamten Umstände des Einzelfalles.
Meistens versucht man die Aufprallgeschwindigkeit bzw. die durch den Auffahrunfall bewirkte Geschwindigkeitsänderung gutachterlich schätzen zu lassen und darauf baut man dann die jeweilige Meinung auf: war die durch den Auffahrunfall bewirkte Krafteinwirkung heftig genug, um Verletzungen bewirken zu können?
Atteste behandelnder Ärzte sind in diesem Zusammenhang oft von eher zweitrangiger Bedeutung.
Auch das Verwaltungsgericht Hamburg bietet in seiner Entscheidungssammlung einen solchen Fall an.
Vor knapp zehn Jahren hat sich das
Verwaltungsgericht Düsseldorf in einem Urteil vom 07.05.12 zu dem
Aktenzeichen 23 K 2582/09 des Problems angenommen und seiner Entscheidung
folgende Leitsätze voran gestellt:
1. Es besteht im Hinblick auf medizinische Fragen keine Bindung der Verwaltungsbehörde oder des Verwaltungsgerichts an die Entscheidung eines ordentlichen Gerichts in einem Schadensersatzprozess, in dem es auf die gleichen oder ähnliche medizinische Fragen ankam. Die der Entscheidung des ordentlichen Gerichts zugrunde liegenden Tatsachen sind vom Verwaltungsgericht eigenständig zu würdigen.
2. Ein Bescheid über die Anerkennung eines Dienstunfalls einschließlich bestimmter Unfallfolgen hat keine Bindungswirkung hinsichtlich des Zusammenhanges von Dienstunfall und Dienstunfähigkeit. Auch amtsärztliche Gutachten oder Stellungnahmen haben keine Bindungswirkung, da sie keine Verwaltungsakte sind.
3. Für die Feststellung eines Schleudertraumas oder einer Wirbelsäulen-Distorsion (bzw. deren Verursachung durch einen Verkehrsunfall) bedarf es vorrangig eines medizinischen Sachverständigen-Gutachtens aus dem orthopädischen oder chirurgischen Fachgebiet. Unfallanalytische oder biomechanische Gutachten können hierbei in Bezug auf die biomechanische Belastung (und insbesondere die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung als maßgebende Größe) ergänzend beauftragt werden.
4. Der Sachverständige muss regelmäßig den Unfallmechanismus und die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung ermitteln und dies der individuellen Belastbarkeit des Unfallopfers unter Berücksichtigung verletzungsfördernder Faktoren gegenüberstellen.
5. Eine "Harmlosigkeitsgrenze" bei geringfügigen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderungen, die eine Verletzungsmöglichkeit ausschließt, gibt es nicht (Anschluss an Bundesgerichtshof).
6. Einzelfall, in dem ein bewilligtes Unfallruhegehalt nach einem langjährigen Kfz-Haftpflichtprozess vor einem Zivilgericht auf der Grundlage von der Beamtin nachteiligen Sachverständigengutachten etwa 10 Jahre nach dem ursprünglichen Verkehrsunfall und 8 Jahre nach der vorzeitigen Zurruhesetzung mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wurde.
7. Hier kein die Beweislast des Dienstherrn für die Rechtswidrigkeit der aufgehobenen Bewilligung von Unfallruhegehalt umkehrender Verstoß der Beamtin gegen Treu und Glauben durch geringfügig unzutreffende Angaben zum Unfallhergang (keine bewussten Falschangaben, keine entscheidende Bedeutung dieser Angaben für die Bewilligung).
1. Es besteht im Hinblick auf medizinische Fragen keine Bindung der Verwaltungsbehörde oder des Verwaltungsgerichts an die Entscheidung eines ordentlichen Gerichts in einem Schadensersatzprozess, in dem es auf die gleichen oder ähnliche medizinische Fragen ankam. Die der Entscheidung des ordentlichen Gerichts zugrunde liegenden Tatsachen sind vom Verwaltungsgericht eigenständig zu würdigen.
2. Ein Bescheid über die Anerkennung eines Dienstunfalls einschließlich bestimmter Unfallfolgen hat keine Bindungswirkung hinsichtlich des Zusammenhanges von Dienstunfall und Dienstunfähigkeit. Auch amtsärztliche Gutachten oder Stellungnahmen haben keine Bindungswirkung, da sie keine Verwaltungsakte sind.
3. Für die Feststellung eines Schleudertraumas oder einer Wirbelsäulen-Distorsion (bzw. deren Verursachung durch einen Verkehrsunfall) bedarf es vorrangig eines medizinischen Sachverständigen-Gutachtens aus dem orthopädischen oder chirurgischen Fachgebiet. Unfallanalytische oder biomechanische Gutachten können hierbei in Bezug auf die biomechanische Belastung (und insbesondere die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung als maßgebende Größe) ergänzend beauftragt werden.
4. Der Sachverständige muss regelmäßig den Unfallmechanismus und die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung ermitteln und dies der individuellen Belastbarkeit des Unfallopfers unter Berücksichtigung verletzungsfördernder Faktoren gegenüberstellen.
5. Eine "Harmlosigkeitsgrenze" bei geringfügigen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderungen, die eine Verletzungsmöglichkeit ausschließt, gibt es nicht (Anschluss an Bundesgerichtshof).
6. Einzelfall, in dem ein bewilligtes Unfallruhegehalt nach einem langjährigen Kfz-Haftpflichtprozess vor einem Zivilgericht auf der Grundlage von der Beamtin nachteiligen Sachverständigengutachten etwa 10 Jahre nach dem ursprünglichen Verkehrsunfall und 8 Jahre nach der vorzeitigen Zurruhesetzung mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wurde.
7. Hier kein die Beweislast des Dienstherrn für die Rechtswidrigkeit der aufgehobenen Bewilligung von Unfallruhegehalt umkehrender Verstoß der Beamtin gegen Treu und Glauben durch geringfügig unzutreffende Angaben zum Unfallhergang (keine bewussten Falschangaben, keine entscheidende Bedeutung dieser Angaben für die Bewilligung).
Mit Verletzungen der Halswirbelsäule, die allerdings nicht auf einen Auffahrunfall zurückgingen, befasst sich ein Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.03.14 - 2 B 59.12 -, der für Betroffene durchaus aufschlussreich sein könnte. Sie finden ihn auf der Seite des Bundesverwaltungsgerichts.
Dort finden Sie auch ein Urteil vom 01.03.07 - 2 A 9.04 -, in dem es ebenfalls um derartige gesundheitliche Folgen eines anerkannten Dienstunfalles geht.
Und nun auch noch dies: Mit der Problematik sollen sich nach Meinung des OLG Hamm mindestens zwei Gutachter befassen:
OLG Hamm, Urteil vom 29.10.2019 - 9 U 199/18 -
Für die Beurteilung des Eintritts und des Schweregrades einer unfallbedingt geltend gemachten Halswirbelverletzung durch den medizinischen Sachverständigen ist es bei streitigem Sachstand unerlässliche Voraussetzung, dass das Ausmaß der auf den Verletzten infolge des Unfalls einwirkenden Beschleunigung durch technisches Sachverständigengutachten ermittelt wird.
Für die Beurteilung des Eintritts und des Schweregrades einer unfallbedingt geltend gemachten Halswirbelverletzung durch den medizinischen Sachverständigen ist es bei streitigem Sachstand unerlässliche Voraussetzung, dass das Ausmaß der auf den Verletzten infolge des Unfalls einwirkenden Beschleunigung durch technisches Sachverständigengutachten ermittelt wird.