Disziplinarrecht: Besitz
kinderpornographischer Bilddateien: Entfernung
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18.01.08 - 2 BvR 313/07 -
Ein Staatsanwalt wird wegen des Besitzes kinderpornographischer Bilddateien aus dem Dienst entfernt.
Ein Staatsanwalt wird wegen des Besitzes kinderpornographischer Bilddateien aus dem Dienst entfernt.
Seine Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
I.
1. Der Beschwerdeführer war Staatsanwalt. Am 25.02.04 wurde seine Wohnung auf der Grundlage eines Durchsuchungsbeschlusses eines Amtsgerichts wegen des Verdachts des Besitzes kinderpornographischer Bilddateien durchsucht. Am 16.04.04 leitete das Ministerium der Justiz das förmliche Disziplinarverfahren gegen ihn ein und enthob ihn vorläufig des Dienstes. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts vom 26.08.04 wurde er wegen Besitzes pornographischer Schriften, die den Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben, zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 85 € verurteilt.
2. Das Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht Magdeburg befand den Beschwerdeführer mit Urteil vom 02.09.05 eines Dienstvergehens für schuldig und erkannte auf Entfernung aus dem Dienst. Das Dienstgericht stellte fest, der Beschwerdeführer habe insgesamt 711 Bilddateien kinderpornographischen Inhalts erhalten, zur Kenntnis genommen und auf seinem Computer gespeichert. Am 08. und 11.04.03 habe er jeweils eine kinderpornographische Bilddatei per Email erhalten und sie nach Kenntnisnahme auf seinem Computer abgespeichert, an vier Tagen jeweils eine solche Bilddatei an andere versandt. Besitz und Weitergabe kinderpornographischer Bilder durch einen Staatsanwalt seien als so gravierend anzusehen, dass der Staatsanwalt in der Regel für den Dienstherrn untragbar werde und nur in minder schweren Fällen oder bei besonderen Milderungsgründen in seinem Amt verbleiben dürfe. Die zu Gunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigenden Tatsachen genügten nicht, um von der Verhängung der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme abzusehen.
3. Die Berufung des Beschwerdeführers wurde durch den Dienstgerichtshof für Richter bei dem Oberlandesgericht Naumburg zurückgewiesen. Zu dem im Urteil des Richterdienstgerichts wiedergegebenen Sachverhalt habe der Beschwerdeführer angegeben, dass alle Vorwürfe vollständig zuträfen. Anhaltspunkte für eine fehlende oder eingeschränkte Schuldfähigkeit seien nicht gegeben. Der Beschwerdeführer habe sich nach § 184 Abs. 5 Satz 1 und 2 StGB strafbar gemacht. Sein Verhalten sei als einheitliches Dienstvergehen zu würdigen. Der Beschwerdeführer sei aus dem Dienst zu entfernen. Das über Jahre andauernde Dienstvergehen wiege vor dem Hintergrund der dienstlichen Kernpflicht des Beschwerdeführers, Straftaten zu verfolgen, um so schwerer. Es sei nach den Umständen des Einzelfalls besonders geeignet, Achtung und Vertrauen in einer für sein Amt und das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Sowohl im Hinblick auf den Dienstherrn als auch auf die Öffentlichkeit sei das Vertrauensverhältnis zerstört. Die Entfernung aus dem Dienst sei daher die einzige in Betracht zu ziehende Maßnahme. Vor diesem Hintergrund sei den vom Beschwerdeführer als Hilfsbeweisanträgen bezeichneten Beweisanregungen (insbesondere: Vernehmung von Leumundszeugen) nicht nachzugehen.
4. Mit Beschluss vom 20.12.06 verwarf der Bundesgerichtshof - Dienstgericht des Bundes - die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Nichtzulassung der Revision.
II.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 1, Art. 2 und Art. 12 GG. ... Die Entfernung aus dem Dienst sei unverhältnismäßig, da sie für den Beschwerdeführer quasi wie ein Berufsverbot wirke. Das Verfahren hätte eingestellt werden oder jedenfalls mit einer milderen Maßnahme, etwa einer Versetzung in die Justizverwaltung, enden müssen. Es liege auch eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht vor: Die Gerichte hätten die vom Beschwerdeführer benannten Leumundszeugen hören müssen; ihr Zeugnis hätte zur Anerkennung eines (weiteren) Milderungsgrundes führen müssen.
III.
Die Entfernung des Beschwerdeführers aus dem Dienst ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
1.
Sie verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Schuldprinzip.
a) Das Schuldprinzip folgt aus dem Zusammenspiel von Art. 2 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip sowie der wertsetzenden Entscheidung des Art. 1 Abs. 1 GG: Jede Strafe, nicht nur die Strafe für kriminelles Unrecht, sondern auch die strafähnliche Sanktion für sonstiges Unrecht, setzt Schuld voraus. Die Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und dem Verschulden des Täters stehen. Insoweit deckt sich der Schuldgrundsatz in seinen die Strafe begrenzenden Auswirkungen mit dem übermaßverbot (vgl. BVerfGE 50, 205 <215>; 73, 206 <253>; 86, 288 <313>). Das Schuldprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (übermaßverbot) gelten auch im Disziplinarverfahren (vgl. BVerfGE 37, 167 <185>; 46, 17 <27>; BVerfG, Beschluss vom 19.02.03 - 2 BvR 1413/01 -, NVwZ 2003, S. 1504).
b) Nach der Spruchpraxis der Disziplinargerichte kommt eine Weiterverwendung im öffentlichen Dienst aus Gründen der Funktionssicherung nicht mehr in Betracht, wenn das Vertrauensverhältnis durch das Dienstvergehen endgültig zerstört ist. Hiergegen bestehen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Gleiches gilt, wenn das Dienstvergehen einen so großen Ansehensverlust bewirkt hat, dass eine Weiterverwendung als Beamter die Integrität des Beamtentums unzumutbar belastet. In beiden Fallgruppen ist der Beamte für den Dienstherrn objektiv untragbar und daher die Entfernung aus dem Dienst geboten. Wann ein derartiger endgültiger Vertrauens- oder Ansehensverlust gegeben ist, hängt weitgehend von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere von der Schwere der Verfehlung, dem Ausmaß der Gefährdung dienstlicher Belange bei einer Weiterverwendung und - bei der Beurteilung der Vertrauensbeeinträchtigung - dem Persönlichkeitsbild des Beamten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.02.03, a.a.O.).
c) In der jüngeren Rechtsprechung der Disziplinargerichte wird schon der (bloße) Besitz kinderpornographischer Darstellungen durchgängig als schweres Dienstvergehen gewertet, das zur Entfernung aus dem Dienst oder zur Degradierung führen kann. Diese Rechtsprechung findet ihre Grundlage in der Erkenntnis, dass (auch) die Beschaffung, der Besitz und die Weitergabe kinderpornographischer Bilder dazu beitragen, dass Kinder durch die Existenz eines entsprechenden Marktes sexuell missbraucht werden, und dass die Veröffentlichung und Verbreitung der Bilder fortlaufend die Menschenwürde und das Persönlichkeitsrecht der abgebildeten Kinder verletzen, ohne dass sich diese wirksam dagegen wehren können (vgl. BVerwGE 111, 291 <294 ff.>; BVerwG, Urteil vom 08.11.01 - 2 WD 29/01 -, NVwZ 2002, S. 1378). Jedenfalls im Hinblick auf bestimmte Gruppen von Angehörigen des öffentlichen Dienstes geht die Tendenz in der Rechtsprechung dahin, in diesen Fällen die Entfernung aus dem Dienst als Regelmaßnahme anzusehen, von der nur in Ausnahmefällen abgesehen werden könne. So sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Verstöße gegen § 184 Abs. 5 StGB in der bis 31.03.04 geltenden Fassung bei einem Soldaten in Vorgesetztenstellung als so gravierend anzusehen, dass er im Allgemeinen für die Bundeswehr untragbar werde und nur in minder schweren Fällen oder bei besonderen Milderungsgründen in seinem Dienstverhältnis, jedoch grundsätzlich nicht mehr in Vorgesetztenstellung, verbleiben könne (vgl. BVerwGE 111, 291 <295 f.>; BVerwG, Urteil vom 27.08.03 - 2 WD 39/02 -, NVwZ 2004, S. 625 <626>). ähnlich sind Fälle beurteilt worden, in denen Lehrern ein entsprechendes Verhalten zur Last fiel, wobei die Gerichte hier die Besonderheiten des schulischen Umfelds und die Pflicht des Lehrers zur überzeugenden Wahrnehmung des Bildungsauftrags der Schule hervorgehoben haben (vgl. etwa VGH BW, Urteil vom 03.07.02 - DL 17 S 24/01 -). Verfassungsrechtlich ist die in dieser Rechtsprechung zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung nicht zu beanstanden; sie beruht auf sachlichen Erwägungen und trägt dem Schuldprinzip ausreichend Rechnung, indem sie die Berücksichtigung minder schwerer Fälle und besonderer Milderungsgründe im Einzelfall erlaubt.
d) Es liegt auf der Hand, dass - wie die gegen den Beschwerdeführer ergangenen Urteile im Einzelnen ausführen - gerade auch von Staatsanwälten erwartet werden muss, nicht gegen Strafbestimmungen zu verstoßen, die zum Schutz der Menschenwürde und des Persönlichkeitsrechts von Kindern erlassen worden sind; es wäre im Gegenteil kaum verständlich, wenn in dieser Hinsicht an das Verhalten von Staatsanwälten ein weniger strikter Maßstab angelegt würde als an das von Lehrern oder von Soldaten in Vorgesetztenstellung. Es ist nicht ersichtlich und wird auch letztlich vom Beschwerdeführer nicht behauptet, dass die Erwägungen der Dienstgerichte zu den für und gegen den Beschwerdeführer sprechenden Umständen den Anforderungen des Schuldprinzips nicht gerecht würden. Die Verhängung der disziplinarischen Höchstmaßnahme gegen den Beschwerdeführer stellt sich deswegen im Lichte des Schuldprinzips nicht als unangemessen dar.
2.
Disziplinarverfahren sind ihrer Natur nach mit der gebotenen Beschleunigung durchzuführen (vgl. BVerfGE 46, 17 <29>; BVerfG, Beschluss vom 21.06.05 - 2 BvR 957/04 -, NVwZ-RR 2005, S. 828 f.). Eine disziplinarische Maßnahme kann unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden, wenn das Disziplinarverfahren unverhältnismäßig lange dauert. Da innerhalb einer stetig verlaufenden zeitlichen Entwicklung der präzise Zeitpunkt, zu dem eine noch verhältnismäßige in eine unverhältnismäßige Belastung umschlägt, nicht feststellbar ist, bedarf es zur hinreichenden Begründung der Unverhältnismäßigkeit ihrer sich aus den Umständen ergebenden Evidenz (vgl. BVerfGE 46, 17 <29>).
Schon daran fehlt es hier. Ein Zeitraum von gut zweieinhalb Jahren von der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens über die Durchführung von Hauptverhandlungen in zwei Tatsacheninstanzen bis hin zum rechtskräftigen Abschluss in dritter Instanz kann auch im Falle eines geständigen, kein komplexes oder umfängliches Verteidigungsverhalten zeigenden Beamten für sich genommen nicht als evident unangemessen angesehen werden, zumal wenn - wie hier - die Verhängung der disziplinarischen Höchstmaßnahme von Anfang an erkennbar im Raum steht, was ungeachtet eines Geständnisses eine sorgfältige und gründliche Prüfung und Bewertung der Vorwürfe auch im Interesse des Beamten erforderlich macht. Besondere Umstände, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten, hat auch der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen vermocht. Ein schützenswertes Vertrauen, nicht aus dem Dienst entfernt zu werden, konnte sich beim Beschwerdeführer unter diesen Umständen nicht bilden, zumal er zeitnah des Dienstes vorläufig enthoben worden war.
3.
....
4. Eine Verletzung der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers ist nicht ersichtlich. Unabhängig von der Frage, ob hier ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG vorliegt, wäre dieser jedenfalls gerechtfertigt. Es ist anerkannt, dass auch das Disziplinarrecht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinn des Art. 33 Abs. 5 GG gehört (vgl. BVerfGE 7, 129 <144 f.>; 15, 105 <121>; 37, 167 <178 f.>). Rechtmäßige Disziplinarmaßnahmen müssen schon von daher auch vor Art. 12 Abs. 1 GG Bestand haben (vgl. BVerfGE 39, 334 <369>).
Bitte beachten Sie, dass diese Entscheidung einige Jahre alt ist und dass sich die Rechtsprechung inzwischen zu einer differenzierteren Betrachtung bekennt.