Disziplinarrecht: Steuerhinterziehung
Begeht ein Beamter eine Steuerhinterziehung, so wird es sich in aller Regel um ein außerdienstliches Dienstvergehen handeln.
Für diese "Deliktsart" gibt es noch keine ganz verbindlichen Regeln, so weit es um die Bewertung des Verhaltens und die Zumessung der Disziplinarmaßnahme geht.
Grundsätzlich orientiert man sich u. a. an der Höhe des hinterzogenen Betrages. Nur im Einzelfall ist die Höhe des Schadens zweitrangig oder gar unbeachtlich. Hierzu hat sich das Bundesverwaltungsgericht in einem Beschluss vom 27.12.17 - 2 B 18.17 - geäußert. Betroffen war der Vorsteher eines Finanzamts, also ein Beamter in besonders herausgehobener Position. In der Entscheidung sind auch maßgebliche Urteile des Bundesgerichtshofs erwähnt, der für die strafrechtliche Aufarbeitung zuständig ist. Man kann sich auf diesem Wege die grundsätzlichen Erwägungen gut erarbeiten. Sie finden weiter unten einen Link zu dem Text der Entscheidung.
Zur Einführung in die diszplinarrechtlichen Aspekte / für den Normanfall eignet sich eine Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.07.11.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28.07.11 - 2 C
16.10 -
Das Bundesverwaltungsgericht wollte über die disziplinarrechtliche Bedeutung der Steuerhinterziehung einmal grundsätzlich entscheiden und ließ deshalb gegen eine Entscheidung des OVG NRW (Urteil vom 23.09.09 - OVG 3d A 1849/08 -) die Revision zu:
Wie ging das Verfahren weiter?
In dem Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 2 C 16.10 ferging am 28.07.11 das Urteil. Es ist sehr differenziert, spricht die Frage der Bemessung der Disziplinarmaßnahme bei Steuerhinterziehung an und äußert sich zu anderen wichtigen Fragen des Disziplinarrechts (Maßnahmebemessung; prognostische Gesamtwürdigung; Schwere des Dienstvergehens; Persönlichkeitsbild; Erschwerungsgründe; Milderungsgründe; Selbstanzeige nach § 370 AO; Rückkehr zu gesetzestreuem Verhalten; freiwillige Offenbarung; Furcht vor Entdeckung; Schadensausgleich; wesentlicher Beitrag zur Aufklärung; Steuerhinterziehung zugunsten Dritter).
Das Bundesverwaltungsgericht wollte über die disziplinarrechtliche Bedeutung der Steuerhinterziehung einmal grundsätzlich entscheiden und ließ deshalb gegen eine Entscheidung des OVG NRW (Urteil vom 23.09.09 - OVG 3d A 1849/08 -) die Revision zu:
Wie ging das Verfahren weiter?
In dem Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 2 C 16.10 ferging am 28.07.11 das Urteil. Es ist sehr differenziert, spricht die Frage der Bemessung der Disziplinarmaßnahme bei Steuerhinterziehung an und äußert sich zu anderen wichtigen Fragen des Disziplinarrechts (Maßnahmebemessung; prognostische Gesamtwürdigung; Schwere des Dienstvergehens; Persönlichkeitsbild; Erschwerungsgründe; Milderungsgründe; Selbstanzeige nach § 370 AO; Rückkehr zu gesetzestreuem Verhalten; freiwillige Offenbarung; Furcht vor Entdeckung; Schadensausgleich; wesentlicher Beitrag zur Aufklärung; Steuerhinterziehung zugunsten Dritter).
Als Richtschnur könnte wahrscheinlich auch heute noch Folgendes dienen:
VG Berlin, Urteil vom 11.09.12 - 85 K 6.11 OB -
Orientierungssatz
...
6. Für die Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens kann auf die Maßstäbe zurückgegriffen werden, die die Disziplinarrechtsprechung für die Fallgruppe außerdienstlicher Steuerhinterziehung ohne Dienstbezug entwickelt hat. Danach soll eine Zurückstufung angemessen sein, wenn der Umfang der hinterzogenen Steuern besonders hoch oder mit der Steuerhinterziehung zusätzliche Straftatbestände oder andere Umstände mit erheblichem Eigengewicht verbunden sind; eine außergewöhnliche Höhe des Hinterziehungsbetrags nimmt der Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts bei einem sechsstelligen DM-Betrag an – bei einem siebenstelligen Betrag soll Entfernung aus dem Beamtenverhältnis in Betracht kommen.
Orientierungssatz
...
6. Für die Bestimmung der Schwere des Dienstvergehens kann auf die Maßstäbe zurückgegriffen werden, die die Disziplinarrechtsprechung für die Fallgruppe außerdienstlicher Steuerhinterziehung ohne Dienstbezug entwickelt hat. Danach soll eine Zurückstufung angemessen sein, wenn der Umfang der hinterzogenen Steuern besonders hoch oder mit der Steuerhinterziehung zusätzliche Straftatbestände oder andere Umstände mit erheblichem Eigengewicht verbunden sind; eine außergewöhnliche Höhe des Hinterziehungsbetrags nimmt der Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts bei einem sechsstelligen DM-Betrag an – bei einem siebenstelligen Betrag soll Entfernung aus dem Beamtenverhältnis in Betracht kommen.
Besondere berufliche Betroffenheit ändert die Dinge:
Falls Sie als Betroffener selbst in der Steuerverwaltung tätig sind, könnten andere Maßstäbe gelten.
Sie finden hier zunächst einen Link zu der oben erwähnten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts und darunter eine schon ältere Entscheidung des OVG Mecklenburg-Vorpommern.
Das Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern,
Beschluss vom 11.10.11, 10 M 154/11, hat über folgende Fragen entschieden:
1. Zur vorläufigen Dienstenthebung eines Finanzamtsvorstehers, der wegen Steuerhinterziehung rechtskräftig verurteilt worden ist.
2. Zum Umfang der gerichtlichen Prüfung der Betätigung des Ermessens bei der Einbehaltung von Dienstbezügen eines suspendierten Beamten.
Aus der Entscheidung:
Für die Beurteilung der Frage, ob der Antragsteller mit seiner Entfernung aus dem Beamtenverhältnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechnen muss, ist von § 15 Abs. 2 Satz 1 LDG M-V auszugehen. Danach ist ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Die Straftat der Steuerhinterziehung stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die der Senat teilt, ein Dienstvergehen von erheblichem disziplinarem Gewicht dar, das je nach den Umständen des Einzelfalles auch mit der Höchstmaßnahme geahndet werden kann. Eine Zurückstufung des Beamten kommt regelmäßig dann in Betracht, wenn die Straftat keinen Bezug zu dienstlichen Tätigkeiten des Beamten aufweist (vgl. BVerwG, Urt. vom 9.11.1994 - 1 D 57/93 -, zit. nach juris; BVerwG, Urt. vom 28.07.2011 - 2 C 16/10 -, Rn. 25, zit. nach juris). Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Straftat, obwohl außerdienstlich begangen, einen Bezug zu den dienstlichen Tätigkeiten aufweist und geeignet ist, die für die Amtsführung unabdingbare Autorität des Beamten zu beeinträchtigen.
Nach diesen Maßstäben ist es überwiegend wahrscheinlich, dass das gegen den Antragsteller eingeleitete Disziplinarverfahren mit seiner Entfernung aus dem Beamtenverhältnis enden wird.
Der Antragsteller ist wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen und wegen versuchter Steuerhinterziehung in einem Fall durch seit dem 30.03.10 rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Neubrandenburg – 9 Ns 36/09 – zu einer Gesamtgeldstrafe von 160 Tagessätzen zu je 100,00 Euro verurteilt worden. Dem lag zugrunde, dass der Antragsteller für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2006 in den jeweiligen Einkommenssteuererklärungen fälschlich „Zusammenveranlagung“ angegeben und den Umstand des „Dauernd Getrenntlebens“ bewusst nicht mitgeteilt hatte.
1. Zur vorläufigen Dienstenthebung eines Finanzamtsvorstehers, der wegen Steuerhinterziehung rechtskräftig verurteilt worden ist.
2. Zum Umfang der gerichtlichen Prüfung der Betätigung des Ermessens bei der Einbehaltung von Dienstbezügen eines suspendierten Beamten.
Aus der Entscheidung:
Für die Beurteilung der Frage, ob der Antragsteller mit seiner Entfernung aus dem Beamtenverhältnis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechnen muss, ist von § 15 Abs. 2 Satz 1 LDG M-V auszugehen. Danach ist ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Die Straftat der Steuerhinterziehung stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die der Senat teilt, ein Dienstvergehen von erheblichem disziplinarem Gewicht dar, das je nach den Umständen des Einzelfalles auch mit der Höchstmaßnahme geahndet werden kann. Eine Zurückstufung des Beamten kommt regelmäßig dann in Betracht, wenn die Straftat keinen Bezug zu dienstlichen Tätigkeiten des Beamten aufweist (vgl. BVerwG, Urt. vom 9.11.1994 - 1 D 57/93 -, zit. nach juris; BVerwG, Urt. vom 28.07.2011 - 2 C 16/10 -, Rn. 25, zit. nach juris). Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Straftat, obwohl außerdienstlich begangen, einen Bezug zu den dienstlichen Tätigkeiten aufweist und geeignet ist, die für die Amtsführung unabdingbare Autorität des Beamten zu beeinträchtigen.
Nach diesen Maßstäben ist es überwiegend wahrscheinlich, dass das gegen den Antragsteller eingeleitete Disziplinarverfahren mit seiner Entfernung aus dem Beamtenverhältnis enden wird.
Der Antragsteller ist wegen Steuerhinterziehung in vier Fällen und wegen versuchter Steuerhinterziehung in einem Fall durch seit dem 30.03.10 rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Neubrandenburg – 9 Ns 36/09 – zu einer Gesamtgeldstrafe von 160 Tagessätzen zu je 100,00 Euro verurteilt worden. Dem lag zugrunde, dass der Antragsteller für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2006 in den jeweiligen Einkommenssteuererklärungen fälschlich „Zusammenveranlagung“ angegeben und den Umstand des „Dauernd Getrenntlebens“ bewusst nicht mitgeteilt hatte.
In diesem Zusammenhang kann prozessual auch folgendes von Bedeutung sein:
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 05.03.10 - BVerwG 2 B 22.09 -
Leitsätze
1. Beamte der Steuerfahndung sind im Disziplinarverfahren gegen Steuerbeamte als ehrenamtliche Richter nicht ausgeschlossen. Die gesetzlich geregelten Ausschließungsgründe (§ 48 Saarl. Disziplinargesetz) sind einer erweiternden oder analogen Anwendung nicht zugänglich.
2. Die in einem Steuerstrafverfahren gegen einen Beamten ermittelten Steuerdaten können ohne Verstoß gegen das Steuergeheimnis für disziplinarische Zwecke an den Dienstherrn des Beamten weitergegeben werden, wenn hinreichender Verdacht auf ein schweres Dienstvergehen besteht (§ 125c Abs. 4 und 6 BRRG = § 115 Abs. 4 und 6 BBG 2009). Das für die Übermittlung der Daten erforderliche zwingende öffentliche Interesse (§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO) ist nicht auf die Fälle beschränkt, in denen eine Degradierung oder Entfernung aus dem Dienst zu erwarten ist; erforderlich ist eine Würdigung des Einzelfalls.
Leitsätze
1. Beamte der Steuerfahndung sind im Disziplinarverfahren gegen Steuerbeamte als ehrenamtliche Richter nicht ausgeschlossen. Die gesetzlich geregelten Ausschließungsgründe (§ 48 Saarl. Disziplinargesetz) sind einer erweiternden oder analogen Anwendung nicht zugänglich.
2. Die in einem Steuerstrafverfahren gegen einen Beamten ermittelten Steuerdaten können ohne Verstoß gegen das Steuergeheimnis für disziplinarische Zwecke an den Dienstherrn des Beamten weitergegeben werden, wenn hinreichender Verdacht auf ein schweres Dienstvergehen besteht (§ 125c Abs. 4 und 6 BRRG = § 115 Abs. 4 und 6 BBG 2009). Das für die Übermittlung der Daten erforderliche zwingende öffentliche Interesse (§ 30 Abs. 4 Nr. 5 AO) ist nicht auf die Fälle beschränkt, in denen eine Degradierung oder Entfernung aus dem Dienst zu erwarten ist; erforderlich ist eine Würdigung des Einzelfalls.
VGH München, Urteil vom 09.05.18 – 16a D 16.1597
Leitsätze
1. Die außerdienstliche Steuerhinterziehung weist den denkbar engsten Bezug zum Aufgabenbereich eines Steuerbeamten auf, da es zu seinen dienstlichen Kernpflichten gehört, der Verletzung von Steuervorschriften entgegenzuwirken, so dass hier grundsätzlich sämtliche disziplinare Maßnahmen bis hin zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnet sind.
2. Das Schutzgut von Vorschriften des Bayrischen Disziplinargesetzes über die Sanktionierung von Verstößen gegen die Dienstpflichten von Beamten ist nicht das Ansehen einer konkreten Behörde in der Öffentlichkeit, sondern vielmehr geht es generell um die Integrität des Berufsbeamtentums und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes als solchen.
3. Die Freistellungsphase der Altersteilzeit lässt ebenso wie die Versetzung in den Ruhestand den eingetretenen Vertrauensverlust unberührt.
Finanzbeamter (Steueroberinspektor, BesGr. A 10), Steuerhinterziehung in Höhe von EUR 106.111,00, Außerdienstliches Dienstvergehen, Strafbefreiende Selbstanzeige, Freiwilligkeit der Selbstanzeige, Rückstufung als Disziplinarmaßnahme
Leitsätze
1. Die außerdienstliche Steuerhinterziehung weist den denkbar engsten Bezug zum Aufgabenbereich eines Steuerbeamten auf, da es zu seinen dienstlichen Kernpflichten gehört, der Verletzung von Steuervorschriften entgegenzuwirken, so dass hier grundsätzlich sämtliche disziplinare Maßnahmen bis hin zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eröffnet sind.
2. Das Schutzgut von Vorschriften des Bayrischen Disziplinargesetzes über die Sanktionierung von Verstößen gegen die Dienstpflichten von Beamten ist nicht das Ansehen einer konkreten Behörde in der Öffentlichkeit, sondern vielmehr geht es generell um die Integrität des Berufsbeamtentums und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes als solchen.
3. Die Freistellungsphase der Altersteilzeit lässt ebenso wie die Versetzung in den Ruhestand den eingetretenen Vertrauensverlust unberührt.
Finanzbeamter (Steueroberinspektor, BesGr. A 10), Steuerhinterziehung in Höhe von EUR 106.111,00, Außerdienstliches Dienstvergehen, Strafbefreiende Selbstanzeige, Freiwilligkeit der Selbstanzeige, Rückstufung als Disziplinarmaßnahme