Disziplinarrecht: Dienstvergehen / Zugriffsdelikte -
Entfernung aus dem Dienst droht
Unter den Dienstvergehen umfasst die
Gruppe der sogenannten Zugriffsdelikte
insbesondere die Eigentums- und Vermögensdelikte zum Nachteil des Dienstherrn
oder der Kollegen, also etwa Diebstahl und Unterschlagung.
Begeht ein Beamter ein Zugriffsdelikt und damit ein schwerwiegendes
Dienstvergehen,
so führt dies möglicherweise - aber nicht in allen Fällen - zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.
Einer neueren Entscheidung aus 2020, mit der eine Aberkennung des
Ruhegehalts bestätigt wurde, lag zum Beispiel folgendes zugrunde
(Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25.11.2020 - BVerwG 2 B 15.20):
Mit rechtskräftig gewordenem Strafbefehl verurteilte das Amtsgericht den
Beamten im Jahr 2016 wegen gemeinschaftlich begangenen Verwahrungsbruchs an
einer ihm als Amtsträger anvertrauten Sache in Tateinheit mit veruntreuender
Unterschlagung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen. Der Beamte und sein
damaliger Kollege S. hatten nach den Feststellungen dieses Strafbefehls am
16.09.14 aufgrund eines gemeinsam gefassten Tatplans mehrere
Euro-Geldscheine für sich behalten, die ihnen als diensthabenden Polizisten
von der Zeugin O. zuvor als Fundsache übergeben worden waren. Kinder hatten
die Tasche mit dem Bargeld zuvor auf einem Spielplatz gefunden, damit
gespielt und sodann der Zeugin O., der Mutter eines der Kinder,
ausgehändigt.
Nehmen Sie als Einstieg eventuell das Rechtsprechungsbeispiel Diebstahl im Dienst.
Sie lernen dort die Meinung des Bundesverwaltungsgerichts kennen, dass
selbst Spielsucht die disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme (nämlich die Entfernung
des Beamten aus dem Dienst) bei einem solchen Zugriffsdelikt nicht
ausschließt.
Typisch ist jenes Beispiel dafür, dass sich die Entscheidungen dieses Deliktsbereichs sehr oft
mit der Frage befassen, ob Milderungsgründe gegeben sind und welches Gewicht ihnen im Einzelfall zukommt.
So hat man sich in den letzten Jahren auch mit Fällen besonders befasst, in denen es um geringwertiges Stehlgut ging.
Geringer Wert des Stehlguts - Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.07.13 - 2 C 63.11 -
Außerdienstlich begangene Diebstähle eines Beamten wiegen ebenfalls schwer,
können aber je nach den Umständen im Disziplinarrecht auch in einem milderen Licht erscheinen.
Die Rechtsprechung differenziert in den letzten Jahren zunehmend und betrachtet die Einzelfälle genauer.
Schon seit längerem sind bei Zugriffsdelikten verschiedene Milderungsgründe anerkannt.
Auf jeden Fall ist nach neuerer Rechtsprechung eine umfassende Prognoseentscheidung erforderlich.
So hat das Bundesverwaltungsgericht in Disziplinarverfahren wiederholt
entschieden. Dienstvergehen ist nicht gleich Dienstvergehen.
Man kann von einer deutlichen Veränderung der Rechtsprechung etwa seit dem
Jahre 2005 sprechen. Ein Beamter hat bei der Entscheidung über die
Entfernung aus dem Beamtenverhältnis einen
Anspruch auf eine prognostische Gesamtwürdigung durch das Disziplinargericht
- so deutlich eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 29.05.08.
Aber geben Sie sich keinen Illusionen hin: begeht ein Beamter einen Diebstahl
oder eine Unterschlagung zum Nachteil des Dienstherrn oder von Kollegen, so
droht schon beim ersten Dienstvergehen die Entfernung aus dem Dienst.
Hierzu gibt es eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20.12.07 - 2 BvR 1050/07:
Ein Polizeikommissar wurde aus dem Dienst entfernt, weil er wegen privater Schulden EUR 1.200,00 aus der ihm
anvertrauten Knöllchenkasse entnommen hatte. Das Strafgericht verurteilte
ihn zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je EUR 50,00 - und dann wurde
er nach Disziplinarrecht aus dem Dienst entfernt.
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass er keine zweite Chance verdient
habe.
Ein ähnlicher Fall liegt auch einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts
vom 20.12.11 zu dem Aktenzeichen BVerwG 2 B 64.11 zugrunde. Dabei hatte der
Beamte auch das bei Polizeibeamten nicht seltene Problem, dass sein
Verhalten als
Diebstahl mit Waffen zu bewerten war (wie es
der strafgerichtlichen Rechtsprechung entspricht, wenn ein Polizeibeamter
einen Diebstahl begeht, während er seine Dienstwaffe bei sich führt).
Mildere Betrachtung bei geringem Wert
In neueren Entscheidungen hat das Bundesverwaltungsgericht den geringen Wert
des Diebesguts mildernd berücksichtigt.
In einem Beschluss vom 23.02.12 - BVerwG 2 B 143.11 - hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass jedenfalls bei einem einmaligen Fehlverhalten
mit einem Schaden von weniger als 200 € ernsthaft in Betracht komme, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen.
Grundlegend auch das Urteil vom 13.12.12 mit dem Aktenzeichen 2 WD 29.11
Mit den Einzelheiten dieses Milderungsgrundes (geringer Wert) befasst sich
auch ein Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.08.13 - 2 B 77.12 -.
Dort ist u. a. ausgeführt:
Im Übrigen hat der Senat bereits im vorangegangenen Revisionsurteil (2 C 38.10) darauf hingewiesen, dass der
Milderungsgrund der Geringwertigkeit gerade im Hinblick darauf, dass nur ein
geringer Schaden entstanden ist, zu einer pflichtenmahnenden Disziplinarmaßnahme führen kann.
Der Milderungsgrund knüpft ... an den objektiv geringen Wert des Zugriffsobjekts an (vgl. auch Urteil vom 11.06.02 - BVerwG 1 D 31.01 - BVerwGE 116, 308 <310>) und orientiert sich
hierbei an der vom Gesetzgeber vorgesehen strafrechtlichen Behandlung der
Vermögenskriminalität. Auch die Annahme einer Geringwertigkeit im Sinne des
§ 248a StGB setzt aber den objektiven geringen Wert der Sache voraus. Aus
dem vorangegangenen Senatsurteil ergibt sich auch, dass ein entsprechender
eingeschränkter Zueignungsvorsatz gegebenenfalls unabhängig vom Vorliegen
eines anerkannten Milderungsgrundes im Rahmen der Gesamtwürdigung aller be-
und entlastenden Umstände zu berücksichtigen ist (vgl. hierzu auch bereits Urteil vom 28.07.11 - BVerwG 2 C 16.10 - BVerwGE 140, 185 <193 Rn. 28>).
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12.05.16 - BVerwG 2 WD 16.15 -
Maßnahmemildernd ist zu berücksichtigen, dass der Vermögenswert der in Rede stehenden Sache gering ist und durch das Dienstvergehen
keine weiteren wichtigen öffentlichen oder privaten Interessen verletzt sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.02.08 - 2 WD 5.07 -).
Die "Bagatellgrenze" liegt bei ca. 50 € (BVerwG, Urteil vom 16.03.11 - 2 WD 40.09 - juris Rn. 30 m.w.N.).
Sonstiges
Wird ein Zugriffsdelikt im aktiven Dienst begangen und der Beamte dann vor
der Verhandlung des Gerichts in den Ruhestand versetzt, so ist zwar die Entfernung aus dem (aktiven) Dienst als Sanktion nicht
mehr möglich,
aber es kann die Aberkennung des Ruhegehalts erfolgen.
Auch im Arbeitsrecht ist im Fall des Diebstahls im Betrieb oft die
Kündigung die rechtmäßige Folge, selbst wenn es um geringe Werte geht. Einer
Abmahnung bedarf es in vielen Fällen vorher nicht. Denken Sie nur an die in
letzter Zeit häufig diskutierten Konstellationen (Maultaschenfall; Kassenbonfall).