Tauglichkeit für den Polizeivollzugsdienst / Bandscheibenvorfall
Eine Entscheidung, die Ausführungen zur PDV 300 und zum rechtmäßigen Umgang mit Fragen der Eignung zutreffend darstellt.
VG Schleswig, Beschluss vom 09.06.22 - 12 B 8/22 -
Gründe
1
Der Antrag,
2
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, das laufende Bewerbungsverfahren um die Einstellung in den mittleren Polizeivollzugsdienst der Bundespolizei zum 01.09.2022 unter seiner – des Antragstellers – Berücksichtigung und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts fortzuführen,
3
hat keinen Erfolg.
4
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
5
Nach § 123 Abs.1 S.1 VwGOkann eine einstweilige Anordnung zur Sicherung eines Rechts des Antragstellers nur getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGOin Verbindung mit §§ 920Abs. 2, 294 ZPO die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.
6
Der Antragsteller erstrebt mit seinem Antrag dem Grunde nach eine grundsätzlich unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache, weil eine einstweilige Anordnung, mit welcher die Antragsgegnerin verpflichtet würde, ihn in das weitere Bewerbungsverfahren einzubeziehen, bereits – wenn auch zeitlich begrenzt bis zur Entscheidung in der Hauptsache – genau die Rechtsposition vermitteln würde, die er mit der Hauptsache erreichen könnte. Eine Anordnung solchen Inhalts würde aber grundsätzlich eine mit dem Sinn und Zweck einer einstweiligen Anordnung regelmäßig nicht zu vereinbarende und somit unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache beinhalten. Im Hinblick auf die Rechtsweggarantie des Art.19 Abs. 4 GGist eine Vorwegnahme der grundsätzlich dem Hauptsacheverfahren (Klageverfahren) vorbehaltenen Entscheidung allerdings dann ausnahmsweise zulässig, wenn wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht zu erreichen ist, dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung schlechthin unzumutbare Nachteile drohen und er im Hauptsacheverfahren voraussichtlich obsiegen wird (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 30.06.08 –6 B 971/08– juris Rn.2 m. w. N).
7
Diese Voraussetzungen sind hier nicht vollständig erfüllt. Zwar ist wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren im Hinblick auf eine weitere Einbeziehung in das Auswahlverfahren für die Einstellung in den mittleren Polizeivollzugsdienst nicht zu erreichen und dem Antragsteller drohen bei einem Verweis auf das Klageverfahren unzumutbare Nachteile. Bis zu dessen rechtskräftigen Abschluss können einschließlich etwaiger Rechtsmittelverfahren mehrere Jahre vergehen. Der Antragsteller würde dann nicht nur an dem Auswahlverfahren für die Einstellung im September 2022, sondern auch an den weiteren Auswahlverfahren in nachfolgenden Jahren nicht teilnehmen können. Dieser Zeitverlust ist irreversibel, da im Erfolgsfalle eine rückwirkende Einstellung zum ursprünglich begehrten Einstellungstermin nicht möglich ist. Ein Abwarten des rechtskräftigen Abschlusses des Klageverfahrens ist dem Antragsteller vor diesem Hintergrund nicht zuzumuten.
8
Es mangelt aber an der erforderlichen Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs, da die nötigen Erfolgsaussichten für das Hauptsacheverfahren nicht gegeben sind. Es spricht alles dafür, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller im Ablehnungsbescheid vom 08.08.21 seine fehlende gesundheitliche Eignung für den mittleren Polizeivollzugsdienst zu Recht entgegengehalten hat. Der Antragsteller erfüllt in gesundheitlicher Hinsicht die Einstellungsvoraussetzungen nicht.
9
Die Einstellung in den mittleren Polizeivollzugsdienst bzw. in den Vorbereitungsdienst für das 2. Einstiegsamt der Laufbahngruppe 1 geht mit der Ernennung zum Beamten auf Widerruf einher (vgl. § 4 Abs.2Bundespolizei – Laufbahnverordnung – BPolLV). Nach Art.33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) sind Ernennungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen. Geeignet in diesem Sinne ist nur, wer dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist. Bei der von Art. 33 Abs. 2 GGgeforderten Eignungsbeurteilung hat der Dienstherr daher immer auch eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der Bewerber den Anforderungen des jeweiligen Amtes in gesundheitlicher Hinsicht entspricht. Ist nach der körperlichen oder psychischen Konstitution eines Bewerbers die gesundheitliche Eignung nicht gegeben, kann er unabhängig von seiner fachlichen Eignung nicht verbeamtet werden. Er kann nicht in den Leistungsvergleich der Bewerber um die zur Vergabe stehenden Ämter einbezogen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.13 –2 C 12.11– juris Rn. 10 m. w. N.). Die Verwaltungsgerichte haben über die gesundheitliche Eignung von Beamtenbewerbern zu entscheiden, ohne an tatsächliche oder rechtliche Wertungen des Dienstherrn gebunden zu sein; diesem steht insoweit kein Beurteilungsspielraum zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.13 a.a.O. Rn. 24). Der Spielraum des Dienstherrn bei der Bestimmung der gesundheitlichen Anforderungen für eine Laufbahn rechtfertigt keine Einschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte bei der Beurteilung der daran anknüpfenden gesundheitlichen Eignung. Dabei ist der Gesundheitszustand des Beamtenbewerbers in Bezug zu den Anforderungen der Beamtenlaufbahn zu setzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. 07.13 a.a.O. juris Rn. 27).
10
Da der Polizeivollzugsdienst Tätigkeiten mit sich bringt, die in besonderem Maße körperliche Leistungsfähigkeit erfordern, ist es sachgerecht, von einem Polizeibeamten ein hohes Maß an körperlicher Eignung zu verlangen. Der Polizeivollzugsdienst stellt besondere Anforderungen an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie an die seelische Belastbarkeit, insbesondere muss der Polizeivollzugsbeamte jederzeit, an jedem Ort und in jeder Stellung einsetzbar sein, die seinem statusrechtlichen Amt entspricht (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.03.05 – 2 C 4.04 – juris Rn. 9).
11
Daraus folgt, dass Polizeidienstbewerber ihre individuelle körperliche Leistungsfähigkeit an einem strengeren Maßstab messen lassen müssen als Beamtenbewerber für den allgemeinen Verwaltungsdienst. Der Bewerber ist nicht nur dann nicht gesundheitlich geeignet, wenn er über eine verminderte körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit oder auch eine verminderte seelische Belastbarkeit verfügt, aufgrund derer er nicht uneingeschränkt im gesamten polizeilichen Einsatzbereich verwendet werden kann, sondern auch dann, wenn die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben des Polizeivollzugsdienstes wegen seiner individuellen Konstitution mit einem deutlich erhöhten Verletzungs-– oder sonstigen Gesundheitsrisiko einhergeht (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 15.10.20 – 6 B 1296/20– juris Rn. 14).
12
Ist die gesundheitliche Eignung eines Bewerbers im Zeitpunkt der beabsichtigten Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst nicht gegeben, darf er nicht eingestellt werden (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 15.10.20 a.a.O. Rn. 16).
13
Die materielle Beweislast für die erforderliche gesundheitliche Eignung trägt die Einstellungsbewerberin bzw. der Einstellungsbewerber (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.04.17– 2 VR 2.17 – juris Rn. 13).
14
Nach diesen Maßgaben spricht alles dafür, dass die Antragsgegnerin die gesundheitliche Eignung des Antragstellers für die Einstellung in den mittleren Polizeivollzugsdienst zu Recht verneint hat. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er polizeidiensttauglich ist. Es spricht vielmehr alles dafür, dass er den strengen gesundheitlichen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes wegen eines erlittenen Bandscheibenvorfalls nicht gerecht werden kann.
15
Maßgeblich konkretisiert werden die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Polizeivollzugsdienst durch die Polizeidienstvorschrift "Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit" (PDV 300), die auch Fürsorgegesichtspunkten Rechnung trägt. Sie fasst aufgrund besonderer Sachkunde gewonnene (ärztliche) Erfahrungssätze zusammen, welche die besonderen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie an die seelische Belastbarkeit berücksichtigen (vgl. OVG Münster, Urteil vom 27.04.2016 – 6 A 1235/14– juris Rn. 75 m. w. N.). Als gesundheitlich nicht geeignet kann ein Bewerber beurteilt werden, wenn ein oder mehrere Merkmale festgestellt werden, die in der Anlage 1 der PDV 300 aufgeführt sind und nach konkreter Beurteilung im Einzelfall die jetzige gesundheitliche Nichteignung nach sich ziehen oder mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Zukunft zur gesundheitlichen Nichteignung führen würden.
16
Nach Ziff. 4.2.1 und 4.2.2 der Anlage 1 der PDV 300 ist die Polizeidiensttauglichkeit bei eingeschränkter Belastbarkeit der Wirbelsäule aufgrund eines Bandscheibenvorfalls in der Vorgeschichte ausgeschlossen.
17
Eine solche Erkrankung ist beim Antragsteller festzustellen.
18
In dem Befundbericht der xxx vom 14.01.2021 werden ein Bandscheibenvorfall L 4/5 (ED 8/2020), ein Beckenschiefstand und eine leichte Skoliose beim Antragsteller diagnostiziert. Zweifel an dieser Einschätzung sind nach Auffassung der Kammer weder grundsätzlich noch im konkreten Falle des Antragstellers geboten. Mit Blick auf die in der abschließenden polizeiärztlichen Stellungnahme vom 18.10.21 beschriebenen Symptome eines Bandscheibenvorfalls, welcher –wenn auch möglicherweise symptomarm bzw. symptomfrei – zu einer Vorschädigung der Wirbelsäule geführt hat, die als in erhöhtem Ausmaß anfällig, insbesondere gegenüber den besonderen Belastungen im Polizeivollzugsdienst, anzusehen ist, wird die Auffassung der Antragsgegnerin, der Antragsteller sei polizeidienstuntauglich, geteilt. Dass den Antragsteller im Polizeidienst besondere Belastungen in dieser Hinsicht erwarten, wird auch deutlich durch die ergänzenden Hinweise zu den o. g. Merkmalsziffern, in denen beispielhaft längere Zwangshaltungen, das Fixieren und Tragen von Personen, das Tragen und Einsetzen schwerer Einsatzmittel, z. B. Sperrgitter, und die Anwendung von Zugriffstechniken aufgeführt sind.
19
Danach ist die Einschätzung, dass bei einem erlittenen Bandscheibenvorfall die erforderliche uneingeschränkte Einsatzfähigkeit im Polizeivollzugsdienst regelmäßig nicht gegeben ist, nicht zu beanstanden.
20
Auch wenn zu berücksichtigen ist, dass die die Polizeidiensttauglichkeit ausschließenden Merkmale der Anlage 1 der PDV 300 als antizipiertes Sachverständigengutachten zu qualifizieren sind, wobei die PDV 300 wie jede normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift zugleich für die sachgerechte Erfassung von Ausnahmetatbeständen Raum lassen muss und dabei die Pflicht zur Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalls nicht beseitigen kann (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 16.08.15 –2 K 83/15– juris Rn. 29 f. m. w. N.), hat der Antragsteller indes Gründe für die Annahme eines atypischen Sachverhalts nicht ausreichend vorgetragen. Die insoweit von ihm bemühten Stellungnahmen des xxx vom 03.03.21 und xxx vom 15.02.21 und 16.09.21 vermögen an der obigen Einschätzung nichts zu ändern.
21
Zu Recht weist die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Privatärzte zum Teil (Dr. xxx) lediglich eine Röntgendiagnostik und kein MRT durchgeführt haben. Zudem kann eine Bildgebung im späteren Verlauf einen früheren Bandscheibenprolaps nicht ausschließen. Weiterhin diagnostizierte Dr. xxx lediglich den Ausschluss einer knöchernen Erkrankung oder Verletzung. Hier wird sich auf die Röntgendiagnostik von Dr. xxx vom 15.02.2021 („es zeigen sich keine wesentlichen strukturellen Veränderungen, eine Skoliose ist nicht verifizierbar“) bezogen. Auffällig ist weiter, dass beide vom Antragsteller beigezogenen Ärzte lediglich von einer Protusion (Vorwölbung der Bandscheibe) und nicht von einem Prolaps (Bandscheibenvorfall) sprechen. Offensichtlich ist beiden Ärzten der Bericht der xxx nicht zur Kenntnis gelangt. Denn dort ist ausdrücklich und unmissverständlich von BSV (= Bandscheibenvorfall) die Rede. Insoweit dürfte der Antragsteller die Ärzte nicht über das bei ihm im Januar 2021 festgestellte Krankheitsbild vollständig informiert haben. Die medizinische Einschätzung des Dr. xxx, wonach die strukturellen Veränderungen an der Wirbelsäule des Antragstellers weder aktuell noch prognostisch hinsichtlich der Leistungsfähigkeit relevant seien, kommt aus den unten näher aufgeführten Gründen kein entscheidendes Gewicht zu. Bei dem Vortrag des Antragstellers, die xxx hätten fehlerhafte medizinische Feststellungen getroffen, handelt es sich um eine durch weitere Anhaltspunkte nicht weiter belegte und – medizinisch laienhafte – Behauptung, die erkennbar in dem Bemühen erfolgt ist, eine für ihn ungünstige medizinische Aussage zu negieren.
22
Entscheidend ist, dass die Polizeiärztin ihr Urteil in Kenntnis aller ärztlichen Befunde abgegeben hat. Sie hat auch nicht allein und pauschal mit einem Verweis auf die PDV 300 und ohne konkrete Würdigung des Einzelfalles eine Polizeidiensttauglichkeit des Antragstellers verneint (vgl. zu solch einem Fall: Beschluss der Kammer vom 21.02.18 – 12 B 17/18 – juris Rn. 27), sondern sie hat in ihrer Stellungnahme vom 18.10.21 alle vorhandenen ärztlichen Stellungnahmen gewürdigt und beurteilt. Sie ist dann gerade im Hinblick auf eine erhöhte Aggravationsgefahr (Verschlimmerungsgefahr) zu dem nicht zu beanstandenden ärztlichen Urteil gekommen, dass der Antragsteller wegen des bei ihm diagnostizierten Krankheitsbildes nicht für den Polizeidienst tauglich ist.
23
In diesem Zusammenhang kommt hinzu, dass, wenn die Beurteilung des Polizeiarztes und die eines Privatarztes zum selben Krankheitsbild des (angehenden) Beamten voneinander abweichen, das Gericht sich auf die Beurteilung des Polizeiarztes stützen kann, wenn keine Zweifel an seiner Sachkunde bestehen, seine Beurteilung auf zutreffenden Tatsachengrundlagen beruht und in sich stimmig und nachvollziehbar ist. Das ist hier der Fall; insbesondere hat die Polizeiärztin – wie ausgeführt – ihren medizinischen Befund erläutert und nachvollziehbar dargelegt, warum sie den (neuen) privatärztlichen Stellungnahmen nicht folgt. Dieser Vorrang im Konfliktfall findet seine Rechtfertigung in der regelmäßig höheren Kompetenz und größeren Erfahrung des Polizeiarztes gerade in Bezug auf die Beurteilung der Dienstfähigkeit und –– vor allem –– in seiner Neutralität und Unabhängigkeit. Im Gegensatz zu einem Privatarzt, der womöglich bestrebt ist, das Vertrauen des Patienten zu ihm zu erhalten, nimmt der Polizeiarzt seine Beurteilung von seiner Aufgabenstellung her unbefangen und unabhängig vor. Er steht Beamten und Dienststelle gleichermaßen fern (vgl. zum – insoweit vergleichbaren – Amtsarzt: BVerwG, Urteil vom 16.11.17 – 2 A 5.16 – juris Rn. 24 m. w. N.; OVG Münster, Beschlüsse vom 20.09.19 –1 B 1858/18– juris, Rn. 16, und vom 29.07.21 –1 B 465/21– juris Rn.33).
24
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Gründe
1
Der Antrag,
2
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, das laufende Bewerbungsverfahren um die Einstellung in den mittleren Polizeivollzugsdienst der Bundespolizei zum 01.09.2022 unter seiner – des Antragstellers – Berücksichtigung und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts fortzuführen,
3
hat keinen Erfolg.
4
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
5
Nach § 123 Abs.1 S.1 VwGOkann eine einstweilige Anordnung zur Sicherung eines Rechts des Antragstellers nur getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung dieses Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Hierbei sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGOin Verbindung mit §§ 920Abs. 2, 294 ZPO die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen.
6
Der Antragsteller erstrebt mit seinem Antrag dem Grunde nach eine grundsätzlich unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache, weil eine einstweilige Anordnung, mit welcher die Antragsgegnerin verpflichtet würde, ihn in das weitere Bewerbungsverfahren einzubeziehen, bereits – wenn auch zeitlich begrenzt bis zur Entscheidung in der Hauptsache – genau die Rechtsposition vermitteln würde, die er mit der Hauptsache erreichen könnte. Eine Anordnung solchen Inhalts würde aber grundsätzlich eine mit dem Sinn und Zweck einer einstweiligen Anordnung regelmäßig nicht zu vereinbarende und somit unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache beinhalten. Im Hinblick auf die Rechtsweggarantie des Art.19 Abs. 4 GGist eine Vorwegnahme der grundsätzlich dem Hauptsacheverfahren (Klageverfahren) vorbehaltenen Entscheidung allerdings dann ausnahmsweise zulässig, wenn wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht zu erreichen ist, dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung schlechthin unzumutbare Nachteile drohen und er im Hauptsacheverfahren voraussichtlich obsiegen wird (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 30.06.08 –6 B 971/08– juris Rn.2 m. w. N).
7
Diese Voraussetzungen sind hier nicht vollständig erfüllt. Zwar ist wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren im Hinblick auf eine weitere Einbeziehung in das Auswahlverfahren für die Einstellung in den mittleren Polizeivollzugsdienst nicht zu erreichen und dem Antragsteller drohen bei einem Verweis auf das Klageverfahren unzumutbare Nachteile. Bis zu dessen rechtskräftigen Abschluss können einschließlich etwaiger Rechtsmittelverfahren mehrere Jahre vergehen. Der Antragsteller würde dann nicht nur an dem Auswahlverfahren für die Einstellung im September 2022, sondern auch an den weiteren Auswahlverfahren in nachfolgenden Jahren nicht teilnehmen können. Dieser Zeitverlust ist irreversibel, da im Erfolgsfalle eine rückwirkende Einstellung zum ursprünglich begehrten Einstellungstermin nicht möglich ist. Ein Abwarten des rechtskräftigen Abschlusses des Klageverfahrens ist dem Antragsteller vor diesem Hintergrund nicht zuzumuten.
8
Es mangelt aber an der erforderlichen Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs, da die nötigen Erfolgsaussichten für das Hauptsacheverfahren nicht gegeben sind. Es spricht alles dafür, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller im Ablehnungsbescheid vom 08.08.21 seine fehlende gesundheitliche Eignung für den mittleren Polizeivollzugsdienst zu Recht entgegengehalten hat. Der Antragsteller erfüllt in gesundheitlicher Hinsicht die Einstellungsvoraussetzungen nicht.
9
Die Einstellung in den mittleren Polizeivollzugsdienst bzw. in den Vorbereitungsdienst für das 2. Einstiegsamt der Laufbahngruppe 1 geht mit der Ernennung zum Beamten auf Widerruf einher (vgl. § 4 Abs.2Bundespolizei – Laufbahnverordnung – BPolLV). Nach Art.33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) sind Ernennungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen. Geeignet in diesem Sinne ist nur, wer dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist. Bei der von Art. 33 Abs. 2 GGgeforderten Eignungsbeurteilung hat der Dienstherr daher immer auch eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der Bewerber den Anforderungen des jeweiligen Amtes in gesundheitlicher Hinsicht entspricht. Ist nach der körperlichen oder psychischen Konstitution eines Bewerbers die gesundheitliche Eignung nicht gegeben, kann er unabhängig von seiner fachlichen Eignung nicht verbeamtet werden. Er kann nicht in den Leistungsvergleich der Bewerber um die zur Vergabe stehenden Ämter einbezogen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.13 –2 C 12.11– juris Rn. 10 m. w. N.). Die Verwaltungsgerichte haben über die gesundheitliche Eignung von Beamtenbewerbern zu entscheiden, ohne an tatsächliche oder rechtliche Wertungen des Dienstherrn gebunden zu sein; diesem steht insoweit kein Beurteilungsspielraum zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.13 a.a.O. Rn. 24). Der Spielraum des Dienstherrn bei der Bestimmung der gesundheitlichen Anforderungen für eine Laufbahn rechtfertigt keine Einschränkung der gerichtlichen Kontrolldichte bei der Beurteilung der daran anknüpfenden gesundheitlichen Eignung. Dabei ist der Gesundheitszustand des Beamtenbewerbers in Bezug zu den Anforderungen der Beamtenlaufbahn zu setzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. 07.13 a.a.O. juris Rn. 27).
10
Da der Polizeivollzugsdienst Tätigkeiten mit sich bringt, die in besonderem Maße körperliche Leistungsfähigkeit erfordern, ist es sachgerecht, von einem Polizeibeamten ein hohes Maß an körperlicher Eignung zu verlangen. Der Polizeivollzugsdienst stellt besondere Anforderungen an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie an die seelische Belastbarkeit, insbesondere muss der Polizeivollzugsbeamte jederzeit, an jedem Ort und in jeder Stellung einsetzbar sein, die seinem statusrechtlichen Amt entspricht (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.03.05 – 2 C 4.04 – juris Rn. 9).
11
Daraus folgt, dass Polizeidienstbewerber ihre individuelle körperliche Leistungsfähigkeit an einem strengeren Maßstab messen lassen müssen als Beamtenbewerber für den allgemeinen Verwaltungsdienst. Der Bewerber ist nicht nur dann nicht gesundheitlich geeignet, wenn er über eine verminderte körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit oder auch eine verminderte seelische Belastbarkeit verfügt, aufgrund derer er nicht uneingeschränkt im gesamten polizeilichen Einsatzbereich verwendet werden kann, sondern auch dann, wenn die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben des Polizeivollzugsdienstes wegen seiner individuellen Konstitution mit einem deutlich erhöhten Verletzungs-– oder sonstigen Gesundheitsrisiko einhergeht (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 15.10.20 – 6 B 1296/20– juris Rn. 14).
12
Ist die gesundheitliche Eignung eines Bewerbers im Zeitpunkt der beabsichtigten Einstellung in den gehobenen Polizeivollzugsdienst nicht gegeben, darf er nicht eingestellt werden (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 15.10.20 a.a.O. Rn. 16).
13
Die materielle Beweislast für die erforderliche gesundheitliche Eignung trägt die Einstellungsbewerberin bzw. der Einstellungsbewerber (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.04.17– 2 VR 2.17 – juris Rn. 13).
14
Nach diesen Maßgaben spricht alles dafür, dass die Antragsgegnerin die gesundheitliche Eignung des Antragstellers für die Einstellung in den mittleren Polizeivollzugsdienst zu Recht verneint hat. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass er polizeidiensttauglich ist. Es spricht vielmehr alles dafür, dass er den strengen gesundheitlichen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes wegen eines erlittenen Bandscheibenvorfalls nicht gerecht werden kann.
15
Maßgeblich konkretisiert werden die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Polizeivollzugsdienst durch die Polizeidienstvorschrift "Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit" (PDV 300), die auch Fürsorgegesichtspunkten Rechnung trägt. Sie fasst aufgrund besonderer Sachkunde gewonnene (ärztliche) Erfahrungssätze zusammen, welche die besonderen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sowie an die seelische Belastbarkeit berücksichtigen (vgl. OVG Münster, Urteil vom 27.04.2016 – 6 A 1235/14– juris Rn. 75 m. w. N.). Als gesundheitlich nicht geeignet kann ein Bewerber beurteilt werden, wenn ein oder mehrere Merkmale festgestellt werden, die in der Anlage 1 der PDV 300 aufgeführt sind und nach konkreter Beurteilung im Einzelfall die jetzige gesundheitliche Nichteignung nach sich ziehen oder mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Zukunft zur gesundheitlichen Nichteignung führen würden.
16
Nach Ziff. 4.2.1 und 4.2.2 der Anlage 1 der PDV 300 ist die Polizeidiensttauglichkeit bei eingeschränkter Belastbarkeit der Wirbelsäule aufgrund eines Bandscheibenvorfalls in der Vorgeschichte ausgeschlossen.
17
Eine solche Erkrankung ist beim Antragsteller festzustellen.
18
In dem Befundbericht der xxx vom 14.01.2021 werden ein Bandscheibenvorfall L 4/5 (ED 8/2020), ein Beckenschiefstand und eine leichte Skoliose beim Antragsteller diagnostiziert. Zweifel an dieser Einschätzung sind nach Auffassung der Kammer weder grundsätzlich noch im konkreten Falle des Antragstellers geboten. Mit Blick auf die in der abschließenden polizeiärztlichen Stellungnahme vom 18.10.21 beschriebenen Symptome eines Bandscheibenvorfalls, welcher –wenn auch möglicherweise symptomarm bzw. symptomfrei – zu einer Vorschädigung der Wirbelsäule geführt hat, die als in erhöhtem Ausmaß anfällig, insbesondere gegenüber den besonderen Belastungen im Polizeivollzugsdienst, anzusehen ist, wird die Auffassung der Antragsgegnerin, der Antragsteller sei polizeidienstuntauglich, geteilt. Dass den Antragsteller im Polizeidienst besondere Belastungen in dieser Hinsicht erwarten, wird auch deutlich durch die ergänzenden Hinweise zu den o. g. Merkmalsziffern, in denen beispielhaft längere Zwangshaltungen, das Fixieren und Tragen von Personen, das Tragen und Einsetzen schwerer Einsatzmittel, z. B. Sperrgitter, und die Anwendung von Zugriffstechniken aufgeführt sind.
19
Danach ist die Einschätzung, dass bei einem erlittenen Bandscheibenvorfall die erforderliche uneingeschränkte Einsatzfähigkeit im Polizeivollzugsdienst regelmäßig nicht gegeben ist, nicht zu beanstanden.
20
Auch wenn zu berücksichtigen ist, dass die die Polizeidiensttauglichkeit ausschließenden Merkmale der Anlage 1 der PDV 300 als antizipiertes Sachverständigengutachten zu qualifizieren sind, wobei die PDV 300 wie jede normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift zugleich für die sachgerechte Erfassung von Ausnahmetatbeständen Raum lassen muss und dabei die Pflicht zur Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalls nicht beseitigen kann (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 16.08.15 –2 K 83/15– juris Rn. 29 f. m. w. N.), hat der Antragsteller indes Gründe für die Annahme eines atypischen Sachverhalts nicht ausreichend vorgetragen. Die insoweit von ihm bemühten Stellungnahmen des xxx vom 03.03.21 und xxx vom 15.02.21 und 16.09.21 vermögen an der obigen Einschätzung nichts zu ändern.
21
Zu Recht weist die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Privatärzte zum Teil (Dr. xxx) lediglich eine Röntgendiagnostik und kein MRT durchgeführt haben. Zudem kann eine Bildgebung im späteren Verlauf einen früheren Bandscheibenprolaps nicht ausschließen. Weiterhin diagnostizierte Dr. xxx lediglich den Ausschluss einer knöchernen Erkrankung oder Verletzung. Hier wird sich auf die Röntgendiagnostik von Dr. xxx vom 15.02.2021 („es zeigen sich keine wesentlichen strukturellen Veränderungen, eine Skoliose ist nicht verifizierbar“) bezogen. Auffällig ist weiter, dass beide vom Antragsteller beigezogenen Ärzte lediglich von einer Protusion (Vorwölbung der Bandscheibe) und nicht von einem Prolaps (Bandscheibenvorfall) sprechen. Offensichtlich ist beiden Ärzten der Bericht der xxx nicht zur Kenntnis gelangt. Denn dort ist ausdrücklich und unmissverständlich von BSV (= Bandscheibenvorfall) die Rede. Insoweit dürfte der Antragsteller die Ärzte nicht über das bei ihm im Januar 2021 festgestellte Krankheitsbild vollständig informiert haben. Die medizinische Einschätzung des Dr. xxx, wonach die strukturellen Veränderungen an der Wirbelsäule des Antragstellers weder aktuell noch prognostisch hinsichtlich der Leistungsfähigkeit relevant seien, kommt aus den unten näher aufgeführten Gründen kein entscheidendes Gewicht zu. Bei dem Vortrag des Antragstellers, die xxx hätten fehlerhafte medizinische Feststellungen getroffen, handelt es sich um eine durch weitere Anhaltspunkte nicht weiter belegte und – medizinisch laienhafte – Behauptung, die erkennbar in dem Bemühen erfolgt ist, eine für ihn ungünstige medizinische Aussage zu negieren.
22
Entscheidend ist, dass die Polizeiärztin ihr Urteil in Kenntnis aller ärztlichen Befunde abgegeben hat. Sie hat auch nicht allein und pauschal mit einem Verweis auf die PDV 300 und ohne konkrete Würdigung des Einzelfalles eine Polizeidiensttauglichkeit des Antragstellers verneint (vgl. zu solch einem Fall: Beschluss der Kammer vom 21.02.18 – 12 B 17/18 – juris Rn. 27), sondern sie hat in ihrer Stellungnahme vom 18.10.21 alle vorhandenen ärztlichen Stellungnahmen gewürdigt und beurteilt. Sie ist dann gerade im Hinblick auf eine erhöhte Aggravationsgefahr (Verschlimmerungsgefahr) zu dem nicht zu beanstandenden ärztlichen Urteil gekommen, dass der Antragsteller wegen des bei ihm diagnostizierten Krankheitsbildes nicht für den Polizeidienst tauglich ist.
23
In diesem Zusammenhang kommt hinzu, dass, wenn die Beurteilung des Polizeiarztes und die eines Privatarztes zum selben Krankheitsbild des (angehenden) Beamten voneinander abweichen, das Gericht sich auf die Beurteilung des Polizeiarztes stützen kann, wenn keine Zweifel an seiner Sachkunde bestehen, seine Beurteilung auf zutreffenden Tatsachengrundlagen beruht und in sich stimmig und nachvollziehbar ist. Das ist hier der Fall; insbesondere hat die Polizeiärztin – wie ausgeführt – ihren medizinischen Befund erläutert und nachvollziehbar dargelegt, warum sie den (neuen) privatärztlichen Stellungnahmen nicht folgt. Dieser Vorrang im Konfliktfall findet seine Rechtfertigung in der regelmäßig höheren Kompetenz und größeren Erfahrung des Polizeiarztes gerade in Bezug auf die Beurteilung der Dienstfähigkeit und –– vor allem –– in seiner Neutralität und Unabhängigkeit. Im Gegensatz zu einem Privatarzt, der womöglich bestrebt ist, das Vertrauen des Patienten zu ihm zu erhalten, nimmt der Polizeiarzt seine Beurteilung von seiner Aufgabenstellung her unbefangen und unabhängig vor. Er steht Beamten und Dienststelle gleichermaßen fern (vgl. zum – insoweit vergleichbaren – Amtsarzt: BVerwG, Urteil vom 16.11.17 – 2 A 5.16 – juris Rn. 24 m. w. N.; OVG Münster, Beschlüsse vom 20.09.19 –1 B 1858/18– juris, Rn. 16, und vom 29.07.21 –1 B 465/21– juris Rn.33).
24
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Wir möchten in diesem Zusammenhang auch dazu raten, den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 16.01.17 - 4 S 394/15 - heranzuziehen. Zwar geht es in dem Beschluss um eine sehr seltene Erkrankung, aber die Ausführungen des VGH sind von grundlegendem Wert, so weit es um die PDV 300 geht.