Zweifel an Dienstfähigkeit: Suchpflicht des Dienstherrn
Eine Entscheidung von seltener Klarheit, zu finden in der Rechtsprechungsdatenbank des Landes Niedersachsen, hier nur die Leitsätze:
OVG Lüneburg, Urteil vom 09.03.21, 5 LC 174/18
Leitsätze
Anforderungen an die Suchpflicht, damit der Grundsatz "Weiterverwendung vor Versorgung" in effektiver Weise zur Umsetzung gelangen kann
1. Die Suche nach einer anderweitigen Verwendung muss sich regelmäßig auf den gesamten Bereich des Dienstherrn - hier: das Land Niedersachsen - erstrecken.
Eine - wie hier - ganz überwiegend an konkrete Stellenausschreibungen geknüpfte Suche ist strukturell fehlerhaft. Die Suche muss vielmehr systematisch alle Landesressorts abdecken. Dies muss durch entsprechende Ressortabfragen geschehen. Parallel hierzu sind in angemessenem Umfang auch einzelne, in Betracht kommende Stellenausschreibungen in den Blick zu nehmen.
2. Die Suche muss sich auf Dienstposten erstrecken, die frei sind oder in absehbarer Zeit frei werden.
3. Ein Suchzeitraum von sechs Monaten ist ausreichend.
4. Der Anspruch des Beamten auf amtsangemessene Beschäftigung darf nicht faktisch unter dem Vorbehalt stehen, dass die Behörde, bei der der vakante Dienstposten besteht, der Besetzung zustimmt.
Hierzu bedarf es der Einführung und Anwendung verfahrensmäßiger Vorkehrungen, um den Weiterbeschäftigungsanspruch des Beamten ggf. auch gegen die Ablehnung der anderen Behörde durchzusetzen. Es muss organisatorisch sichergestellt sein,
- dass die zuständigen Sachbearbeiter dahingehend geschult sind, "Absagen" kritisch zu hinterfragen und auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen,
- dass bei etwaigen rechtlichen Bedenken die Vorgesetztenebene mit der entsprechenden Frage befasst wird
- und dass diese ggf. über die zuständige oberste Landesbehörde des Ressorts an die höchste Ebene des entsprechenden Ressorts herantreten kann, damit die angefragte Behörde von dort ggf. angewiesen werden kann, den für die Weiterverwendung geeigneten Beamten zu verwenden.
5. Die Suchanfrage muss eine die noch vorhandene Leistungsfähigkeit des dienstunfähigen Beamten charakterisierende und sachliche Kurzbeschreibung enthalten. Regelmäßig genügt es, die konkreten Leistungseinschränkungen mitzuteilen; eine Offenbarung der Diagnose oder gar von detaillierten Krankheitsbefunden ist für den Zweck der Suchanfrage als Konkretisierung des gesetzlichen Grundsatzes "Weiterverwendung vor Versorgung" weder erforderlich noch unter datenschutzrechtlichen Aspekten zulässig.
Der Dienstherr darf deshalb in ein sog. Fallprofil keine beschreibenden Zusätze aus fachpsychiatrischen Gutachten (hier: "begrenzte kritische Eigendistanz") aufnehmen, die dort nicht ausdrücklich als Leistungseinschränkung formuliert worden sind. Dies mindert in abstrakter Weise - was bereits ausreichend ist - die Weiterbeschäftigungschancen des Betreffenden.
Ein Fallprofil enthält auch dann keine charakterisierende und sachliche Kurzbeschreibung, wenn es unvollständig ist (hier: kein Hinweis, dass sich die Suche nach einer anderweitigen Verwendung auf einen A 13-wertigen Dienstposten beziehe; kein Hinweis auf die grundsätzliche Möglichkeit des Laufbahnwechsels; kein Hinweis auf die grundsätzliche Möglichkeit der Übertragung einer geringerwertigen Tätigkeit).
Zu einer sachlichen Kurzbeschreibung gehören auch besondere Fähigkeiten (hier: besondere technische Kenntnisse), welche die besondere Eignung des Betreffenden für den Wechsel in eine technische Laufbahn belegen können. Um entsprechende Kenntnisse abzufragen, böte sich etwa an, vor Erstellung des Fallprofils mit dem Betreffenden ein umfassendes Gespräch zu führen oder ihn zu bitten, besondere technische Kenntnisse, die ihn für einen etwaigen Wechsel in eine technische Laufbahn qualifizieren könnten, aufzulisten. Jedenfalls aber hätte die suchenden Behörde dem Betreffenden das von ihr erstellte Fallprofil vorab zur Kenntnis geben müssen, damit er etwaige Einwendungen bereits zeitnah zum Start der Suche nach einer anderweitigen Verwendung hätte erheben und die Behörde diese Einwendungen hätte rechtlich prüfen und ggf. berücksichtigen können.
6. Die gesetzliche Suchpflicht schließt eigene Bewerbungsbemühungen des Betreffenden nicht aus.
7. Ob der Grundsatz "Weiterverwendung vor Versorgung" in effektiver Weise zur Umsetzung gelangt ist, ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung des im Vorfeld der Zurruhesetzungsverfügung liegenden Sachverhalts zu prüfen. Dabei dürfen die Anforderungen einerseits nicht überspannt werden, müssen andererseits
aber ein ausreichendes Niveau erreichen, um die Effizienz der Suchpflicht zu gewährleisten.
8. Es ist Sache des Dienstherrn, schlüssig darzulegen, dass er bei der Suche nach einer anderweitigen Verwendung für den dienstunfähigen Beamten die maßgeblichen Vorgaben beachtet hat.
Leitsätze
Anforderungen an die Suchpflicht, damit der Grundsatz "Weiterverwendung vor Versorgung" in effektiver Weise zur Umsetzung gelangen kann
1. Die Suche nach einer anderweitigen Verwendung muss sich regelmäßig auf den gesamten Bereich des Dienstherrn - hier: das Land Niedersachsen - erstrecken.
Eine - wie hier - ganz überwiegend an konkrete Stellenausschreibungen geknüpfte Suche ist strukturell fehlerhaft. Die Suche muss vielmehr systematisch alle Landesressorts abdecken. Dies muss durch entsprechende Ressortabfragen geschehen. Parallel hierzu sind in angemessenem Umfang auch einzelne, in Betracht kommende Stellenausschreibungen in den Blick zu nehmen.
2. Die Suche muss sich auf Dienstposten erstrecken, die frei sind oder in absehbarer Zeit frei werden.
3. Ein Suchzeitraum von sechs Monaten ist ausreichend.
4. Der Anspruch des Beamten auf amtsangemessene Beschäftigung darf nicht faktisch unter dem Vorbehalt stehen, dass die Behörde, bei der der vakante Dienstposten besteht, der Besetzung zustimmt.
Hierzu bedarf es der Einführung und Anwendung verfahrensmäßiger Vorkehrungen, um den Weiterbeschäftigungsanspruch des Beamten ggf. auch gegen die Ablehnung der anderen Behörde durchzusetzen. Es muss organisatorisch sichergestellt sein,
- dass die zuständigen Sachbearbeiter dahingehend geschult sind, "Absagen" kritisch zu hinterfragen und auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen,
- dass bei etwaigen rechtlichen Bedenken die Vorgesetztenebene mit der entsprechenden Frage befasst wird
- und dass diese ggf. über die zuständige oberste Landesbehörde des Ressorts an die höchste Ebene des entsprechenden Ressorts herantreten kann, damit die angefragte Behörde von dort ggf. angewiesen werden kann, den für die Weiterverwendung geeigneten Beamten zu verwenden.
5. Die Suchanfrage muss eine die noch vorhandene Leistungsfähigkeit des dienstunfähigen Beamten charakterisierende und sachliche Kurzbeschreibung enthalten. Regelmäßig genügt es, die konkreten Leistungseinschränkungen mitzuteilen; eine Offenbarung der Diagnose oder gar von detaillierten Krankheitsbefunden ist für den Zweck der Suchanfrage als Konkretisierung des gesetzlichen Grundsatzes "Weiterverwendung vor Versorgung" weder erforderlich noch unter datenschutzrechtlichen Aspekten zulässig.
Der Dienstherr darf deshalb in ein sog. Fallprofil keine beschreibenden Zusätze aus fachpsychiatrischen Gutachten (hier: "begrenzte kritische Eigendistanz") aufnehmen, die dort nicht ausdrücklich als Leistungseinschränkung formuliert worden sind. Dies mindert in abstrakter Weise - was bereits ausreichend ist - die Weiterbeschäftigungschancen des Betreffenden.
Ein Fallprofil enthält auch dann keine charakterisierende und sachliche Kurzbeschreibung, wenn es unvollständig ist (hier: kein Hinweis, dass sich die Suche nach einer anderweitigen Verwendung auf einen A 13-wertigen Dienstposten beziehe; kein Hinweis auf die grundsätzliche Möglichkeit des Laufbahnwechsels; kein Hinweis auf die grundsätzliche Möglichkeit der Übertragung einer geringerwertigen Tätigkeit).
Zu einer sachlichen Kurzbeschreibung gehören auch besondere Fähigkeiten (hier: besondere technische Kenntnisse), welche die besondere Eignung des Betreffenden für den Wechsel in eine technische Laufbahn belegen können. Um entsprechende Kenntnisse abzufragen, böte sich etwa an, vor Erstellung des Fallprofils mit dem Betreffenden ein umfassendes Gespräch zu führen oder ihn zu bitten, besondere technische Kenntnisse, die ihn für einen etwaigen Wechsel in eine technische Laufbahn qualifizieren könnten, aufzulisten. Jedenfalls aber hätte die suchenden Behörde dem Betreffenden das von ihr erstellte Fallprofil vorab zur Kenntnis geben müssen, damit er etwaige Einwendungen bereits zeitnah zum Start der Suche nach einer anderweitigen Verwendung hätte erheben und die Behörde diese Einwendungen hätte rechtlich prüfen und ggf. berücksichtigen können.
6. Die gesetzliche Suchpflicht schließt eigene Bewerbungsbemühungen des Betreffenden nicht aus.
7. Ob der Grundsatz "Weiterverwendung vor Versorgung" in effektiver Weise zur Umsetzung gelangt ist, ist aufgrund einer Gesamtbetrachtung des im Vorfeld der Zurruhesetzungsverfügung liegenden Sachverhalts zu prüfen. Dabei dürfen die Anforderungen einerseits nicht überspannt werden, müssen andererseits
aber ein ausreichendes Niveau erreichen, um die Effizienz der Suchpflicht zu gewährleisten.
8. Es ist Sache des Dienstherrn, schlüssig darzulegen, dass er bei der Suche nach einer anderweitigen Verwendung für den dienstunfähigen Beamten die maßgeblichen Vorgaben beachtet hat.