Eingeschränkte rechtliche Bedeutung von Beurteilungsrichtlinien
Ende Juni 2021 wurde das Bundesbeamtengesetz geändert. § 21 BBG lautet jetzt wie folgt:
§ 21 Bundesbeamtengesetz: Dienstliche Beurteilung, Verordnungsermächtigung
(1) Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Beamtinnen und Beamten sind regelmäßig, mindestens jedoch alle drei Jahre, zu beurteilen. Sie sind zusätzlich zu beurteilen, wenn es die dienstlichen oder persönlichen Verhältnisse erfordern.(2) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung Grundsätze für dienstliche Beurteilungen sowie für das Beurteilungsverfahren zu regeln, insbesondere über
1. den Inhalt der Beurteilung, beispielsweise die Festlegung von zu beurteilenden Merkmalen von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung,
2. ein Bewertungssystem für die Beurteilung,
3. die Ausgestaltung des Beurteilungsmaßstabs, beispielsweise die konkrete Festlegung von Richtwerten oder die Möglichkeit, von den Richtwerten aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit abzuweichen,
4. die Festlegung von Mindestanforderungen an die an der Beurteilung mitwirkenden Personen,
5.die Bekanntgabe des Ergebnisses eines Beurteilungsdurchgangs,
6. die Voraussetzungen und das Verfahren einer fiktiven Fortschreibung von Beurteilungen und
7. Ausnahmen von der Beurteilungspflicht.
Bundesverwaltungsgericht hält gesetzliche Regelung für erforderlich
Nahezu zeitgleich äußerte sich das Bunddesverwaltungsgericht.In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zeichnete sich bereits seit längerer Zeit eine Tendenz ab, an Beurteilungsrichtlinien zu bemängeln, dass sie in aller Regel nicht vom Gesetzgeber verantwortet werden oder nicht zumindest relativ konkrete gesetzliche Regelungen als Grundlage haben.
Mit der nachfolgenden Entscheidung sind wir wohl noch nicht am Ende der Entwicklung, denn die Rechtsprechung ist uneinheitlich, überwiegend vielleicht gar ablehnend.
Die etwas weiter unten wiedergegebene Entscheidung (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.05.21 - 4 S 15/21 -) setzt sich in kernigem Stil ausführlich damit auseinander, dass - nach Meinung des OVG BB - die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in den letzten Jahren ein wenig sprunghaft gewesen und in Bezug auf die Frage der Notwendigkeit gesetzlicher Regelung des Beurteilungsrechts - wenn man so formulieren darf - aus der Luft gegriffen sei.
Die praktizierenden "Beurteilungsrechtler" hat diese Frage schon länger bewegt, ohne dass eine Klärung hättte herbeigeführt werden können.
Nun aber:
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 07.07.21 - BVerwG 2 C 2.21 -
Pressemitteilung Nr. 46/2021 vom 07.07.21Grundlegende Vorgaben für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen müssen in Rechtsnormen geregelt sein
Die grundlegenden Vorgaben für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen müssen wegen ihrer entscheidenden Bedeutung für Auswahlentscheidungen nach Maßgabe von Art. 33 Abs. 2 GG in Rechtsnormen geregelt sein. Bloße Verwaltungsvorschriften reichen hierfür nicht aus. Dienstliche Beurteilungen müssen mit einem Gesamturteil abschließen, in das sämtliche vom Dienstherrn bewertete Einzelmerkmale der drei Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG einfließen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden.
Die Klägerin steht im Dienst einer Stadt in Rheinland-Pfalz. Im März 2015 schrieb die Stadt zwei Leitungsstellen aus, auf die sich auch die Klägerin bewarb. Für sämtliche Bewerber erstellte die Stadt Anlassbeurteilungen. In der Leistungsbewertung erzielte die Klägerin innerhalb des von der Beklagten gewählten fünfstufigen Bewertungssystems die zweithöchste Bewertung "B" ("übertrifft die Anforderungen"). Bei der Beurteilung der Befähigung wurde der Klägerin 15 Mal die zweithöchste der fünfstufigen Skala - "II - stark ausgeprägt" - und zweimal die dritthöchste Bewertung - "III - normal ausgeprägt" - zuerkannt. Die dienstliche Beurteilung weist weder ein Gesamturteil für die Befähigung noch ein zusammenfassendes Urteil der Leistungsbeurteilung und der Befähigung auf. Bei beiden Auswahlentscheidungen wurde die Klägerin nicht berücksichtigt; die von der Klägerin geführten Konkurrentenstreitverfahren blieben erfolglos. Die Klägerin wandte sich anschließend gegen die Anlassbeurteilung. Damit hatte sie vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Erfolg.
Auf die Revision der Klägerin hat das Bundesverwaltungsgericht das Berufungsurteil aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts erneut dienstlich zu beurteilen.
In Rheinland-Pfalz sind die Vorgaben für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen von Beamten derzeit nicht in Rechtsnormen geregelt; das Landesbeamtengesetz und die darauf gestützte Laufbahnverordnung überlassen die Bestimmung der Vorgaben allein Verwaltungsvorschriften. Dies hat dazu geführt, dass in Rheinland-Pfalz auf der Ebene bloßer Verwaltungsvorschriften eine Vielzahl unterschiedlichster Vorgaben für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen von Beamten besteht. Dies ist rechtlich unzureichend.
Angesichts der Bedeutung von dienstlichen Beurteilungen für die allein nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG zu treffenden Auswahlentscheidungen müssen die grundlegenden Vorgaben für die Erstellung von dienstlichen Beurteilungen in Rechtsnormen geregelt werden. Der Gesetzgeber hat das System - Regelbeurteilungen oder Anlassbeurteilungen - sowie die Bildung eines Gesamturteils vorzugeben.
Weitere Einzelheiten, wie etwa der Rhythmus von Regelbeurteilungen, der Inhalt der zu beurteilenden Einzelmerkmale von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung, der Beurteilungsmaßstab oder Vorgaben für die Vergabe der höchsten und der zweithöchsten Note (Richtwerte), können Rechtsverordnungen überlassen bleiben. Dass die Rechtslage in Rheinland-Pfalz diesen Vorgaben nicht entspricht, ist für einen Übergangszeitraum hinzunehmen, um einen der verfassungsgemäßen Ordnung noch "ferneren" Zustand zu vermeiden.
Dienstliche Beurteilungen stellen die wesentliche Grundlage für Auswahlentscheidungen nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG dar. Um diese Funktion erfüllen zu können, müssen sie mit einem Gesamtergebnis abschließen. Denn die Auswahlentscheidung knüpft an das abschließende Gesamturteil der dienstlichen Beurteilung an, das anhand einer Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen leistungsbezogenen Gesichtspunkte gebildet worden ist. Art. 33 Abs. 2 GG gibt drei Kriterien vor; der Gesetzgeber und erst recht die Exekutive sind nicht befugt, eines dieser drei Merkmale bei der Bildung des abschließenden Gesamturteils unberücksichtigt zu lassen. Dementsprechend muss das Gesamturteil sämtliche vom Dienstherrn bewertete Einzelmerkmale der drei Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG umfassen.
Diesen Anforderungen entspricht die angegriffene Anlassbeurteilung nicht.
Das Landesrecht Rheinland-Pfalz, auf das sich die vorstehende Entscheidung bezieht, regelt, so weit für uns ersichtlich, das Recht der dienstlichen Beurteilung in der Laufbahnverordnung des Landes:
§ 15 Beurteilung
(1) Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Beamtinnen und Beamten sind zu beurteilen. Das Nähere regelt die oberste Dienstbehörde.
(2) Die Beurteilung ist den Beamtinnen und Beamten zu eröffnen und mit ihnen zu besprechen. Die Eröffnung und das Ergebnis der Besprechung sind aktenkundig zu machen und mit der Beurteilung zu den Personalakten zu nehmen.
Das hamburgische Landesrecht ist hierarchisch gestuft: An erster Stelle steht das Beamtengesetz (HmbBG), dann Verordnungen (Laufbahnverordnung, Laufbahnverordnungen einzelner Berufszweige).
Sodann spielen Beurteilungsrichtlinien eine wesentliche Rolle, die zwar nicht die Qualität von Gesetzen oder Verordnungen haben, aber die Praxis prägen (sollen).
Es gibt eine allgemeine Beurteilungsrichtlinie der Hansestadt aus dem Jahr 2013, aber auch spezielle Richtlinien für einzelne Zweige der Verwaltung (Polizei, Feuerwehr) und zum Beispiel für die Richter.
Dieser Aufbau des Rechts der dienstlichen Beurteilung erscheint rechtswidrig, wenn man die von dem Bundesverwaltungsgericht wiederholt geäußerte Auffassung zur Notwendigkeit konkreter gesetzlicher Grundlagen für das Recht der dienstlichen Beurteilung ernst nimmt.
In Hamburg gibt es eine gesetzliche Regelung in § 25 Landesbeamtengesetz, die wie folgt lautet: "Der Senat erlässt unter Berücksichtigung der §§ 10 und 13 bis 24 durch Rechtsverordnung Vorschriften über die Laufbahnen. Dabei soll insbesondere geregelt werden ... 9. Grundsätze für dienstliche Beurteilungen (§ 10 Abs. 4)."
§ 10 Absatz 4 lautet wie folgt:
"(4) Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Beamtinnen und Beamten sind anhand der mit dem konkreten Arbeitsplatz verbundenen Anforderungen und unter angemessener Darstellung eines gegebenenfalls von der Aufgabenwertigkeit abweichenden Statusamtes regelmäßig und wenn es die dienstlichen oder persönlichen Verhältnisse erfordern durch Vorgesetzte zu beurteilen. Das Nähere regelt die oberste Dienstbehörde oder mit ihrer Zustimmung die von ihr bestimmte Behörde. Hierbei können Ausnahmen von Satz 1 für bestimmte Beamtengruppen oder Fallgruppen sowie geeignete Maßnahmen zur Sicherstellung einheitlicher Beurteilungsmaßstäbe vorgesehen werden."
Ob diese Regelungen den Erwartungen des Bundesverwaltungsgerichts entsprechen, mag zweifelhaft sein.
Man kann die Auffassung vertreten, dass sämtliche zur Zeit (2021) in Hamburg eröffneten dienstlichen Beurteilungen rechtswidrig sind. Allerdings wenden sich Dienstherren und in weiten Teilen auch die gerichtliche Praxis gegen diese konsequente Meinung, so dass keinesfalls sicher ist, ob so entschieden wird.
Die Verwaltungsgerichte dürften den Dienstherren bisweilen noch Übergangsfristen einräumen. Aber es gibt auch andere Stimmen, so das OVG Berlin-Brandenburg (s. oben auf dieser Seite).
Oberverwaltungsgericht Sachsen, Beschluss vom 13.10.21 - 2 B 286/21 -
16(1) Der Antragsgegner konnte seine Auswahlentscheidung auf die ihm vorliegenden, dem Auswahlvermerk vom 2. März 2021 zugrunde gelegten Regel- und Anlassbeurteilungen des Antragstellers und der Beigeladenen stützen. Diese Beurteilungen unterliegen keinen rechtlichen Bedenken.
17
aaa) Dies gilt zum einen im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. hierzu Urt. v. 17. September 2020 - 2 C 2.20 -, juris Rn. 16, Beschl. v. 21. Dezember 2020 - 2 B 63.20 -, juris Rn. 22 und Urt. v. 7. Juli 2021 - 2 C 2.21 -, juris), wonach die grundlegenden Vorgaben für die Erstellung von dienstlichen Beurteilungen durch den Gesetzgeber zu bestimmen und nicht der Exekutive zu überlassen sind. Der Senat lässt offen, ob die den herangezogenen Beurteilungen zugrundeliegende Bestimmung § 6 SächsRiG unter Berücksichtigung der zitierten Rechtsprechung eine ausreichende gesetzgeberische Positionierung darstellt. Denn selbst wenn man annehmen wollte, dass die gesetzliche Bestimmung in § 6 SächsRiG sich im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 20 Abs. 3 GG als defizitär erwiese, folgt hieraus nicht die Unverwertbarkeit der für den Antragsteller und die Beigeladene erstellten Beurteilungen. Die Beurteilungsvorschriften wären selbst dann, wenn sie gegen den Vorbehalt des Gesetzes verstießen und deshalb nichtig wären, für einen Übergangszeitraum grundsätzlich weiter anzuwenden (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 19. Januar 2021 - 1 M 143/20 - a. a. O. Rn. 22; Senatsbeschl. v. 2. Juli 2021 - 2 B 219/21 -, juris Rn. 13 ff.; BVerwG, Urt. v. 7. Juli 2021 - 2 C 2.21 - a. a. O. Rn. 40).
Schon früher hat das Bundesverwaltungsgericht angedeutet, dass ihm gesetzliche Regelungen notwendig erscheinen:
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.12.20 - BVerwG 2 B 63.20 -
20 4. Für das erneute Berufungsverfahren weist der Senat auf das Folgende hin:21 a) Bei Auswahlentscheidungen nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG kommt Regelbeurteilungen entscheidende Bedeutung zu. Denn der Vergleich der Bewerber im Rahmen der Auswahl hat vor allem anhand dienstlicher Beurteilungen zu erfolgen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20.04.04 - 1 BvR 838/01 u.a. - BVerfGE 110, 304 <332> und vom 16.12.15 - 2 BvR 1958/13 - BVerfGE 141, 56 Rn. 58). Dabei sind vor allem zeitnahe, d.h. aktuelle dienstliche Beurteilungen heranzuziehen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 09.08.16 - 2 BvR 1287/16 - NVwZ 2017, 46 Rn. 78 f). Die Eignung von dienstlichen Beurteilungen als Vergleichsgrundlage setzt voraus, dass sie inhaltlich aussagekräftig sind. Sie müssen eine tragfähige Grundlage für die Auswahlentscheidung vermitteln (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 29.07.03 - 2 BvR 311/03 - BVerfGK 1, 292 <296 f.> und vom 07.03.13 - 2 BvR 2582/12 - NVwZ 2013, 1603 Rn. 21).
22 Die für die Verwirklichung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 33 Abs. 2 GG wesentlichen Regelungen muss der Gesetzgeber selbst treffen und darf sie nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen (BVerfG, Beschluss vom 21.04.15 - 2 BvR 1322, 1989/12 - BVerfGE 139, 19 Rn. 52).
Hat der Vergleich der Bewerber im Rahmen des Art. 33 Abs. 2 GG regelmäßig vor allem anhand dienstlicher Beurteilungen zu erfolgen, müssen die wesentlichen Vorgaben für die Erstellung dieser Beurteilungen vom Gesetzgeber bestimmt werden (BVerwG, Urteil vom 17.09.20 - 2 C 2.20 - Rn. 15 f.).
23 In Art. 54 ff. des Leistungslaufbahngesetzes vom 05.08.10 (GVBl. S. 410, 571) hat der bayerische Gesetzgeber die wesentlichen Vorgaben für die Erstellung von dienstlichen Beurteilungen bestimmt. Demgegenüber hat der Gesetzgeber des Landes Brandenburg für den Bereich der Beamten auf jegliche eigene Regelung verzichtet und die Gestaltung von dienstlichen Beurteilungen - unzureichend - allein der Exekutive in Gestalt von Verwaltungsvorschriften überlassen. Denn § 19 BrbBG vom 03.04.09, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 05.06.
19 (GVBl. I/19), benennt als Gegenstand der dienstlichen Beurteilung Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Beamten und bestimmt lediglich noch, dass das Nähere Verwaltungsvorschriften regeln.
24 Auch die im Land Brandenburg für die dienstlichen Beurteilungen von Richtern maßgebliche Vorschrift erscheint defizitär. § 9 Abs. 3 BbgRiG, auf den auch das Berufungsgericht maßgeblich abgestellt hat, überlässt die Regelung der dienstlichen Beurteilung von Richtern in Gestalt einer Blankettermächtigung der obersten Dienstbehörde in Form von Beurteilungsrichtlinien, d.h. bloßen, dem Wesentlichkeitsgebot nicht genügenden Verwaltungsvorschriften.
Das Richtergesetz des Landes Brandenburg vom 12.07.11 (GVBl. I/11 Nr. 18) selbst bestimmt in § 9 Abs. 1 und 2 unmittelbar nur wenige inhaltliche Vorgaben. Es regelt lediglich die Arten der Beurteilungen, den Vorrang der Regelbeurteilung und den Anspruch des betroffenen Richters auf Beteiligung des Richterrats und der Schwerbehindertenvertretung an der Besprechung der dienstlichen Beurteilung.
25 b) Entsprechend ihrer rechtlichen Herleitung sind Verwaltungsvorschriften nicht wie Rechtsvorschriften aus sich heraus, sondern als Willenserklärung der anordnenden Stelle unter Berücksichtigung der tatsächlichen Handhabung auszulegen (...). Da Verwaltungsvorschriften zur Disposition des Vorschriftengebers stehen, ist bei der Auslegung die tatsächliche Verwaltungspraxis jedenfalls insoweit heranzuziehen, wie sie vom Urheber der Verwaltungsvorschriften gebilligt oder doch geduldet wurde oder wird (....). Dementsprechend ist jeweils zu erforschen, in welchem Sinne die betreffende Behörde die von ihr herausgegebenen Richtlinien in einem maßgebenden Punkt verstanden wissen wollte und tatsächlich verstanden und angewandt hat (BVerwG, Urteile ... und vom 17.09.20 - 2 C 2.20 - Rn. 19).
26 Das Berufungsgericht hat zur Bewertung der vom Präsidenten des Bundessozialgerichts erstellten streitgegenständlichen Beurteilung des Klägers vom 02.08.17 maßgeblich auf § 5 der Gemeinsamen Allgemeinen Verfügung der Ministerin der Justiz und der Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familien des Landes Brandenburg "Dienstliche Beurteilung der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte" vom 20.06.
05 (JMBl. Sondernummer I S. 4), zuletzt geändert durch Allgemeine Verfügung des Ministers der Justiz vom 29.08.11 (JMBl. S. 107) abgehoben. Selbst wenn diese Verwaltungsvorschrift nach den Ausführungen unter a) beachtlich sein sollte, dürften die Gerichte diese nicht wie eine Rechtsvorschrift aus sich heraus auslegen. Vielmehr müsste bei den zuständigen Stellen des Landes Brandenburg ermittelt werden, in welchem Sinne die Verwaltungsvorschrift im Hinblick auf Bewertungen der Leistungen im Rahmen einer - nicht seltenen - Abordnung von Richtern des Landes an das Bundesverfassungsgericht oder an einen obersten Gerichtshof des Bundes i.S.v. Art. 95 Abs. 1 GG durch die Präsidenten dieser Gerichte tatsächlich verstanden worden ist.
27 c) ...
Die vom Bundesverwaltungsgericht beanstandete gesetzliche Regelung lautet auszugsweise wie folgt:
§ 9 Richtergesetz Brandenburg: Dienstliche Beurteilungen, Stellenausschreibungen
(1) Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind regelmäßig zu beurteilen (Regelbeurteilung). Sie sind zudem zu beurteilen, wenn es die dienstlichen oder persönlichen Verhältnisse erfordern (Anlassbeurteilung). Die oberste Dienstbehörde bestimmt die Fälle für eine Anlassbeurteilung. Sie kann bestimmen, welche Richterinnen und Richter sowie welche Staatsanwältinnen und Staatsanwälte nicht mehr regelmäßig beurteilt werden.(2) Beurteilt werden Eignung, Befähigung und fachliche Leistung. Bei der Beurteilung richterlicher Amtsgeschäfte sind die sich aus § 26 Absatz 1 und 2 des Deutschen Richtergesetzes ergebenden Beschränkungen zu beachten. Auf Verlangen der Richterin oder des Richters ist der Richterrat, auf Verlangen der Staatsanwältin oder des Staatsanwalts ist der Staatsanwaltsrat an der Besprechung der Beurteilung zu beteiligen. Die Schwerbehindertenvertretung ist an der Besprechung der Beurteilung zu beteiligen, wenn eine schwerbehinderte Person dies verlangt. Über das Recht, eine Beteiligung nach den Sätzen 3 und 4 zu verlangen, ist die betroffene Person vor der Besprechung zu unterrichten.
(3) Die oberste Dienstbehörde kann in Beurteilungsrichtlinien nähere Bestimmungen treffen.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat sich in einem Beschluss vom 19.05.21 - 4 S 15/21 - mit recht deutlichen Worten gegen das Bundesverwaltungsgericht gestellt:
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.05.21 - 4 S 15/21 -
... das Bundesverwaltungsgericht hat sein obiter dictum im Beschluss vom 21.12.20 zu § 19 LBG nicht begründet, worauf schon der Antragsgegner hingewiesen hat.Randnummer 6
Die im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21.12.20 fehlende Begründung findet sich schließlich nicht in dem in Bezug genommenen Urteil vom 17.09.20 – 2 C 2.20 –. Denn auch dort folgt auf den der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnommenen Rechtssatz zur Wesentlichkeitstheorie sogleich das Ergebnis (siehe juris Rn. 16). Eine Subsumtion fehlt in beiden Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts. Das Gericht lässt offen, warum es bestimmte Aspekte der dienstlichen Beurteilung für so wesentlich hält, dass sie vom Parlament geregelt werden müssten. Es benennt auch nicht, um welche Aspekte es sich handelt. Darauf lässt sich nur indirekt aus den Feststellungen schließen, dass die parlamentsgesetzlichen Regelungen über dienstliche Beurteilungen in einem anderen Bundesland für ausreichend erachtet werden.
Randnummer 7
Die Begründung ist nicht deshalb entbehrlich, weil sich in der Parallelwertung des durch das Bundesverfassungsgericht im Bezugsfall entschiedenen Sachverhalts das Ergebnis gleichsam von selbst ergäbe. Das Gegenteil ist der Fall. Das Bundesverfassungsgericht behandelte im Beschluss vom 21.04.15 – 2 BvR 1322, 1989/12 – die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Höchstaltersgrenzen für die Verbeamtung durch das Lebenszeitprinzip und das Alimentationsprinzip. Es erklärte als wesentlich Regelungen, die für die Verwirklichung von Grundrechten erhebliche Bedeutung hätten und sie besonders intensiv beträfen (juris Rn. 52). Eine Pflicht des Gesetzgebers bestehe insbesondere in mehrdimensionalen, komplexen Grundrechtskonstellationen und regelmäßig dann, wenn die betroffenen Grundrechte nach dem Wortlaut der Verfassung ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet seien und eine Regelung zur Ordnung des Lebensbereiches notwendigerweise ihre verfassungsimmanenten Schranken bestimmen und konkretisieren müsse (juris Rn. 53). Die Abwägung und der Ausgleich zwischen dem Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG und anderer in der Verfassung geschützter Belange sei vorrangig die Aufgabe des Parlamentsgesetzgebers. Ausnahmen vom Leistungsgrundsatz beim Zugang zum Beamtenverhältnis bedürften demnach grundsätzlich einer parlamentsgesetzlichen Grundlage (juris Rn. 60).
Randnummer 8
Demgegenüber betreffen die eher technisch zu sehenden Vorgaben für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen keinen Fall praktischer Konkordanz. Die dienstliche Beurteilung ist das vom Bundesverfassungsgericht als typischerweise vorrangig anerkannte und bislang nicht problematisierte Messinstrument (Beschluss vom 16.12.15 – 2 BvR 1958/13 – juris Rn. 58), das zur Bestenauslese anhand des Maßstabs aus Art. 33 Abs. 2 GG heranzuziehen ist. Die dienstliche Beurteilung dient dem Leistungsgrundsatz, sie schränkt ihn nicht – schon gar nicht aus leistungsfremden – Gründen ein. Darauf weist auch der Antragsgegner hin. Demgemäß hatte selbst das Bundesverwaltungsgericht noch am 09.05.19 geurteilt, es liege im grundsätzlich weiten Organisationsermessen des Dienstherrn, wie er das Beurteilungswesen für seine Beamtinnen und Beamten regele. „Innerhalb der durch das einschlägige Gesetzes- und Verordnungsrecht gezogenen Grenzen ist der Dienstherr weitgehend frei, Verfahren und Inhalt dienstlicher Beurteilungen durch Richtlinien festzulegen“ (– 2 C 1.18 – juris Rn. 39). Das Bundesverwaltungsgericht benennt mit „Grenzen“ den Vorrang des Gesetzes, nicht den Vorbehalt des Gesetzes in der besonderen Ausprägung des Parlamentsvorbehalts.
Randnummer 9
Das Fehlen der Begründung in den wenig später mit gegenteiligem Ergebnis gefällten Entscheidungen vom 17.09.20 und vom 21.12.20 ist umso bedauerlicher, weil es die Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts ist, für die Verwaltungsgerichtsbarkeit durch Systematisierung Orientierungspunkte zu setzen. Die Frage, ob Verwaltungsvorschriften ohne parlamentsgesetzliche Vorzeichnung beachtlich sein dürfen, kann sich vielfach stellen. Denn Verwaltungsvorschriften bestimmen in großem Umfang das Beamtenrecht. Sie betreffen Regelungen mit Außenwirkung (zum Beispiel Fürsorgeleistungen für Beamtinnen und Beamte wie die Übernahme von Kosten der Strafverteidigung bei Ermittlungen zur Amtsführung) und mehr noch mit Innenwirkung. Die in § 35 VwVfG angelegte Grenzziehung zwischen Innenrechtsakten und Rechtsakten mit unmittelbarer Wirkung nach außen hat bislang einen Anhaltspunkt für die Rechtsschutzintensität (Beispiel: Umsetzung – Versetzung) geboten. Die dienstliche Beurteilung ist nach der unveränderten Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts ein Innenrechtsakt (Urteil vom 17.03.16 – 2 A 4.15 – juris Rn. 16) und wäre demnach im Ausgangspunkt eher unproblematisch; jedenfalls müsste begründet werden, warum gleichwohl ein gravierendes Problem bestehen soll.
Randnummer 10
Im historischen Rückblick hat das Beamtenrecht Verwaltungsvorschriften sogar für die Regelung der Verfügungen mit unmittelbarer Außenwirkung als ausreichend erachtet. Das Bundesverfassungsgericht hielt demgemäß die Beihilfevorschriften (BhV), eine parlamentsgesetzlich nicht vorgezeichnete Verwaltungsvorschrift, für verfassungsgemäß (Dreierausschussbeschluss vom 12. August 1977 – 2 BvR 1063/76 – juris Orientierungssatz 3). Das vom Bundesverwaltungsgericht erst später formulierte Verlangen nach gesetzlicher Regelung beruhte auch auf dem zutreffenden Gedanken, dass die Beamtenbeihilfe nicht ein schlichter Ausfluss der Fürsorge, sondern mehr und mehr von anderen Gestaltungserwägungen und Leistungseinschränkungen sowie -ausschlüssen bestimmt wurde, deren Vornahme vom Gesetzgeber verantwortet werden muss (Urteil vom 17.06.04 – 2 C 50.02 – juris insbesondere Rn. 17). Das Gesetz zielt nicht zuletzt auf die praktische Konkordanz zwischen der aus Art. 33 Abs. 5 GG geschuldeten Fürsorge und dem Gebot sparsamer Haushaltsführung.
Randnummer 11
Der Senat kann nur spekulieren, von welchen Überlegungen sich das Bundesverwaltungsgericht leiten ließ, als es seine neuartige Rechtsansicht zur gesetzlichen Unterlegung des Beurteilungswesens verkündete. Der Senat selbst sieht keine der in Rechtsprechung und Lehre entwickelten und diskutierten Fallgruppen für einschlägig und hält § 19 LBG zur Beurteilung von Beamtinnen und Beamten für genügend.
Randnummer 12
Wäre das anders zu sehen, müsste in einem Hauptsacheverfahren die Verfassungsrechtsprechung in einer konkreten Normenkontrolle mit der Angelegenheit befasst werden. Denn der brandenburgische Gesetzgeber hat mit § 19 Satz 1 LBG den Gesetzesbefehl erteilt, die Beamtinnen und Beamten dienstlich zu beurteilen („sind zu beurteilen“).
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem obiter dictum der Sache nach erklärt, dem Gesetzesbefehl dürfe nicht gefolgt werden, solange sich der Gesetzgeber nicht ausführlicher äußere.
Diese Entscheidung steht allein in der Kompetenz der Verfassungsgerichtsbarkeit (Art. 100 Abs. 1 GG, Art. 113 Nr. 3 LVerf). Die bereits judizierte Reaktion auf die Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichts, für einen Übergangszeitraum vorübergehend die bisherige Rechts- und Verwaltungsvorschriftenlage im Beurteilungswesen weiterhin anzuwenden, um dem Gesetzgeber Gelegenheit zu geben, das vom Bundesverwaltungsgericht aufgrund eines Wandels der Anschauung angenommene Regelungsdefizit in § 19 LBG zu schließen (vgl. dazu OVG Magdeburg, Beschluss vom 19.01.21 – 1 M 143/20 – juris Rn. 22; VGH Kassel, Beschluss vom 25.02.21 – 1 B 376/20 – juris Rn. 49 ff.), hätte einiges für sich (dazu grundsätzlich BVerwG, Beschluss vom 31.01.19 – 1 WB 28.17 – juris Rn. 35 und spezieller BVerwG, Urteile vom 17.06.04 – 2 C 50.02 – juris Rn. 20 und vom 12.09.13 – 5 C 33.12 – juris Rn. 17 ff.), impliziert jedoch den Verfassungsverstoß. Der Senat kann einen Verfassungsverstoß des brandenburgischen Gesetzgebers nicht erkennen.
Randnummer 13
Ausgangspunkt der beim Bundesverwaltungsgericht vermissten Überlegungen ist die (nach § 31 Abs. 1 BVerfGG bindende, aber auch) überzeugende Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden sollen, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen. Dieses Ziel dürfe nicht durch einen Gewaltenmonismus in Form eines umfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden (Beschluss vom 21.04.15 – 2 BvR 1322, 1989/12 – juris Rn. 53). Die Antworten der Rechtswissenschaft erschließen sich im Beitrag von Hoffmann-Riem, AöR 130 (2005) S. 5 (50 ff.) und etwa auch bei Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Band II, 3. Aufl. 2015, Art. 20 Rn. 119 ff., siehe speziell zu dienstlichen Beurteilungen auch Bodanowitz in: Schnellenbach/Bodanowitz, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, B II (Stand Oktober 2016 / Juli 2020) Rn. 137.
Randnummer 14
Für den Senat ergibt sich daraus in Bezug auf das öffentliche Dienstrecht Folgendes: Es bedarf einer parlamentsgesetzlichen Regelung des generellen Status der Beschäftigten. Das Parlament muss des Weiteren bei statusberührenden Regelungen ins Detail gehen, soweit es um Einschränkungen der subjektiven Rechte im Interesse praktischer Konkordanz geht (Beispiele: Altersgrenzen, dauerhafter Körperschmuck wie Tätowierungen, religiös konnotierte Bekleidung). Denn aus der parlamentarischen Leitentscheidung muss erkennbar und vorhersehbar sein, was dem Bürger gegenüber zulässig sein soll (BVerfG, Beschluss vom 21.04.15 – 2 BvR 1322/12 u.a. – juris Rn. 55; BVerwG, Urteil vom 14.05.20 – 2 C 13.19 – juris Rn. 11). Die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm muss der Grundrechtsrelevanz der Regelung entsprechen, zu der ermächtigt wird: Je erheblicher diese in die Rechtsstellung des Betroffenen eingreift, desto höhere Anforderungen müssen an den Bestimmtheitsgrad der Ermächtigung gestellt werden. Eine Ermächtigung darf nicht so unbestimmt sein, dass nicht mehr vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die auf Grund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können (BVerfG, Beschluss vom 21.04.15 – 2 BvR 1322/12 u.a. – juris Rn. 55). Das Bundesverfassungsgericht spricht damit die Intensität der Grundrechtsgefährdung an. Das Parlament unternimmt es im Rahmen der Funktionen, die Gesetze erfüllen können, Grundrechtsgefährdungen, wie sie von „freien“ Verwaltungshandlungen ausgehen können, zu reduzieren oder gar zu bannen.
Randnummer 15
Eine mit Beförderungsentscheidungen verbundene Gefahr besteht darin, dass die Verantwortlichen absichtlich keine an Art. 33 Abs. 2 GG ausgerichtete Bestenauslese treffen, sondern eine Auslese aus leistungsfremden Motiven (einerseits persönliche Nähe, parteipolitische oder ähnliche Verbundenheit zur ausgewählten Person, andererseits eine Abwehrhaltung gegenüber der bestgeeigneten Person aus den verschiedensten Gründen) vornehmen wollen. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass – ohne böse Absicht – die Feststellung von Eignung, Befähigung und Leistung der Bewerberinnen und Bewerber defizitär ausfällt und zu falschen Ergebnissen führt. Gegen die erste Gefahr sind Vorkehrungen gegen Missbrauch nötig, vor dem zweiten Risiko schützen Sorgfalts- und Qualitätsstandards.
Randnummer 16
Die grundrechtliche Gefährdungslage ist den Beförderungsentscheidungen allerdings nicht als Interessengegensatz sachimmanent. Denn das objektive Interesse des Staates an der Bestenauslese und der Bewerbungsverfahrensanspruch der Beamtinnen und Beamten befinden sich im Gleichklang. Wie das Bundesverfassungsgericht betont, dient Art. 33 Abs. 2 GG zum einen dem öffentlichen Interesse der bestmöglichen Besetzung des öffentlichen Dienstes und trägt zum anderen dem berechtigten Interesse der Beamten an einem angemessenen beruflichen Fortkommen dadurch Rechnung, dass er ein grundrechtsgleiches Recht auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl begründet (Beschluss vom 16.12.15 – 2 BvR 1958/13 – juris Rn. 31). Ämterpatronage oder unsorgfältige Sachverhaltsermittlung in der Bestenauslese ist immer auch objektiv rechtswidrig und gegen das staatliche Eigeninteresse gerichtet. Ein Versagen der Auswahlverantwortlichen in der einen oder anderen Richtung ist möglich, aber nicht die Regel. Die rechtswidrig vorgehenden Akteure können sich nicht generell der Rückendeckung durch ihre Vorgesetzten sicher sein.
Randnummer 17
Betrachtet man die skizzierten Gefährdungen genauer, sind die Angriffe auf die Bestenauslese regelmäßig in der Festlegung der Einzelbewertungen und des Gesamturteils zu verorten. Die tatsächlichen Grundlagen für die Werturteile werden absichtlich ausgeblendet oder zu oberflächlich ermittelt. Die gewählten Werturteile werden ohne tragfähige oder ausreichende Tatsachengrundlage gesetzt. Die Verantwortlichen bemühen sich erst gar nicht um subjektive Wahrhaftigkeit oder Sorgfalt in der Bewertung. Im Manipulationsfall werden wider besseres Wissen unvermittelt Leistungssteigerungen oder Leistungseinbrüche bescheinigt. Bei langfristig planvollem Vorgehen kann sich die erwünschte ‚Leistungsentwicklung‘ allerdings auch unauffällig ergeben. Eine solche ungerechtfertigte Förderung von Günstlingen kann in den unterschiedlichsten Beurteilungssystemen betrieben werden (Bodanowitz in: Schnellenbach/Bodanowitz, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, B IV [Stand Dezember 2019] Rn. 226).
Randnummer 18
Angesichts dessen hätte ein ‚Grundrechtsschutz durch Verfahren‘ (siehe im vorliegenden Kontext dazu Bodanowitz, a.a.O., B I [Stand Juli 2020] Rn. 88) den besten Effekt, wenn die in Art. 33 Abs. 2 GG als Maßstab genannten Merkmale der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung aufgefächert werden in möglichst genau definierte und umrissene Untermerkmale, deren Gewichtungen festgelegt werden und für die bestimmt wird, welche Sachverhalte in welcher Weise als Tatsachengrundlagen zu ermitteln und als nachprüfbare Belege zu dokumentieren sind. Des Weiteren könnte eine Mehrzahl von Beurteilenden die subjektiven Wahrnehmungen einzelner Personen einebnen und so durch intersubjektive Übereinstimmungen zur Objektivierung der dienstlichen Beurteilungen beitragen (siehe Bodanowitz, a.a.O., B IV [Stand Dezember 2019] Rn. 226). Zu regeln wäre dann aber auch, wie Meinungsverschiedenheiten der Beurteilenden und wie deren unterschiedliche Kenntnisse im Einzelfall von den tatsächlichen Grundlagen einer Beurteilung ausgeglichen werden.
Randnummer 19
Es liegt auf der Hand, dass dem Parlament die Anschauung aller Ämter in sämtlichen Laufbahnen fehlt, die zur sachgerechten Erstellung derart kleinteiliger Vorgaben notwendig wäre. Der Landtag hat dafür nach seiner Zusammensetzung und Funktion im genannten Sinne des Bundesverfassungsgerichts nicht die besten Voraussetzungen.
Randnummer 20
Das scheint das Bundesverwaltungsgericht nicht anders zu sehen. Denn es hält für ausreichend, wenn der nordrhein-westfälische Gesetzgeber ein System von Regelbeurteilungen, die Bildung eines abschließenden Gesamturteils und die Formulierung eines Vorschlags für die weitere dienstliche Verwendung des Beamten vorschreibt, außerdem die Aufnahme der Regelbeurteilung in die Personalakte des Beamten sowie die Möglichkeit des Beamten regelt, auf die Beurteilung Einfluss zu nehmen, und durch eine Laufbahnverordnung den regelmäßigen Rhythmus für die Regelbeurteilungen vorgibt (drei Jahre), die oberste Dienstbehörde zur Bestimmung der Stichtage ermächtigt, die Bildung von Vergleichsgruppen regelt und die Quoten für die Vergabe der besten und der zweitbesten Note festlegt (Urteil vom 17.09.20 – 2 C 2.20 – juris Rn. 17). Dabei lässt es das Bundesverwaltungsgericht offen, ob diese Regelungen das Minimum dessen sind, was durch Gesetz geregelt werden müsse, oder ob es meint, selbst weniger Regelungen genügten immer noch dem Wesentlichkeitsgebot.
Randnummer 21
Jedenfalls sind die nordrhein-westfälischen Regelungen, so sinnvoll sie erscheinen, kaum in der Lage, die aufgezeigten Gefahrenquellen für eine Bestenauslese einzuhegen. Eine zur Gefahrenabwehr naheliegende und auch vom Gesetzgeber leicht vorzunehmende Anordnung zur Auswahl und Anzahl der Beurteilenden hält das Bundesverwaltungsgericht offenbar nicht für geboten.
Randnummer 22
Geht es dem Bundesverwaltungsgericht nicht um Grundrechtsschutz durch Verfahren, bliebe als Motiv eine Vorstellung von gelungenen Gesetzen. Vielleicht aber handelte der brandenburgische Gesetzgeber klug, als er sich mit § 19 LBG wortkarg zeigte. Anerkanntermaßen ist der Parlamentsvorbehalt in Bereichen mit hoher Ungewissheit und großem Flexibilitätsbedarf schwach ausgeprägt (BVerfG, Beschluss vom 20. Oktober 1981 – 1 BvR 640/80 – juris Rn. 58; Hoffmann-Riem, AöR 130 [2005] S. 5 [51]). Die aus Art. 33 Abs. 2 GG entwickelte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist seit einigen Jahren durch einen steten Wandel und plötzliche Wendungen gekennzeichnet. Das führt auch der Antragsgegner ins Feld. Angesichts der Spruchpraxis des Bundesverwaltungsgerichts zum Dienstrecht in den letzten Jahren müssten die ausführlichen Gesetzgeber gewärtigen, dass ihre gestern noch verfassungsgemäß erscheinenden Normierungen heute in anderem Licht stünden. Das gibt auch der Antragsgegner zu bedenken.
Randnummer 23
Der jähe Wechsel zwischen dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.05.19 und seinen Entscheidungen vom 17. September sowie 21.12.20 ist bereits benannt. Ein weiteres Beispiel kann anhand der Absicht des brandenburgischen Gesetzgebers gezeigt werden, durch die Abschaffung der von ihm zuvor ausdrücklich verlangten regelmäßigen Beurteilungen die Verwaltung in die Lage zu versetzen, flexible Lösungen und bei Bedarf ein Anlassbeurteilungssystem zu ermöglichen (siehe VG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 20.02.21 – 2 L 587/20 – juris Rn. 33). Ein solches System hatte das Bundesverwaltungsgericht früher nicht beanstandet, dann jedoch im Beschluss vom 30.06.16 – 2 B 85.15 (2 C 18.16) – (juris) die Revision zugelassen zur Klärung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Beurteilungssystem, das für auf Lebenszeit ernannte Richter im Grundsatz auf Regelbeurteilungen verzichte und lediglich Anlassbeurteilungen mit abhängig vom Einzelfall begrenzten Beurteilungszeiträumen vorsehe, den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG genüge. Zur Klärung kam es in jenem Fall nicht. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.05.19 mag dann als Absage an die verfassungsrechtliche Notwendigkeit eines Regelbeurteilungssystems gedeutet werden (– 2 C 1.18 – juris Rn. 39), vielleicht auch noch dessen Beschluss vom 02.07.20 – 2 A 6.19 – (juris Rn. 10). Nunmehr dekretiert das Bundesverwaltungsgericht kurzerhand, Regelbeurteilungen komme zur Durchsetzung von Art. 33 Abs. 2 GG entscheidende Bedeutung zu (Urteil vom 17.09.20 – 2 C 2.20 – juris Rn. 15; Beschluss vom 21.12.20 – 2 B 63.20 – juris Rn. 21). Dem fügt das Gericht in beiden Entscheidungen einen Satz zur Begründung („Denn …“) an, der für ein verfassungsrechtlich gebotenes Regelbeurteilungssystem ebenso wenig hergibt wie die angeführten Belege der Verfassungsrechtsprechung. Hätte der brandenburgische Gesetzgeber in § 19 LBG ein Anlassbeurteilungssystem statuiert, wäre diese Bestimmung nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts durch das Urteil vom 17.09.20 gleichsam über Nacht verfassungswidrig geworden.
Randnummer 24
Der Berliner Gesetzgeber hatte sich anders verhalten und mit seinem Verwaltungsreform-Grundsätze-Gesetz (vom 17. Mai 1999 in der Fassung vom 21.12.05) eine ausführliche Programmierung von Auswahlverfahren in Kraft gesetzt, wozu dienstliche Beurteilungen auf der Grundlage von aufgabenbezogenen Anforderungsprofilen gehörten (§ 6 Abs. 3 VGG). Der Gesetzgeber konnte sich seinerzeit und noch aufgrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 30.06.11 – 2 C 19.10 – (juris Rn. 30) sicher wähnen, eine verfassungsfeste Konkretisierung der Bestenauslese vorgenommen zu haben. Doch schon im Beschluss vom 20.06.13 – 2 VR 1.13 – (juris Rn. 22 ff.; seine abweichende Ansicht bekräftigend: BVerfG, Beschluss vom 16.12.15 – 2 BvR 1958/13 – juris Rn. 32, 36 Satz 3 mit Distanzierung vom Bundesverwaltungsgericht) hat das Bundesverwaltungsgericht seine bisherige Rechtsprechung umgestoßen. Im Ergebnis erklärte es die Berliner Regelung für verfassungswidrig, ohne die Bestimmung überhaupt zu beachten. Der Berliner Gesetzgeber hat sein Gesetz aufgehoben.
Randnummer 25
Das Bundesverwaltungsgericht hat aus Art. 33 Abs. 2 GG Vorgaben für dienstliche Beurteilungen entwickelt, die in dem von ihm neuerdings für wesentlich gehaltenen Bereich den Gesetzgebern kaum Möglichkeiten zur relevanten Gestaltung belassen. Der Parlamentsvorbehalt hätte die Folge, dass die Gesetzgeber die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu kodifizieren sowie spätere Meinungsumschwünge nachzuzeichnen hätten. Mit Blick auf die bereits dargestellte Aufgabenverteilung nach Funktionsgerechtigkeit im Sinne des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 21.04.15 – 2 BvR 1322, 1989/12 – juris Rn. 53) agiert das Bundesverwaltungsgericht widersprüchlich. Alles, was es unschwer und zwingend aus Art. 33 Abs. 2 GG herleitet, ist der Gestaltungsmacht der Gesetzgeber entzogen. Der Gesetzgeber ist kein Notar des Bundesverwaltungsgerichts.
Randnummer 26
Der Antragsteller wendet sich noch mit zwei weiteren Gründen gegen den angegriffenen Beschluss des Verwaltungsgerichts. Er legt auch insoweit entgegen § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht dar, warum deshalb die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben sei, und setzt sich mit der angefochtenen Entscheidung nicht auseinander.
Randnummer 27
Zum einen vermisst er in der Sachverhaltsdarstellung des Verwaltungsgerichts die Erwähnung seiner Replik vom 15.02.21 auf die Stellungnahme von Kriminaloberrat R_____. Das Verwaltungsgericht hat in Teil I der Gründe auf dessen Stellungnahmen ohne inhaltliche Auswertung Bezug genommen. Der Antragsteller zeigt mit diesem Vorbringen keinen Rechtsfehler des Verwaltungsgerichts auf. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist nach § 122 Abs. 2 Satz 2 VwGO zu begründen. Die Begründung von Beschlüssen muss im Unterschied zur Begründung von Urteilen (§ 117 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 VwGO) keinen Tatbestand enthalten (siehe den fehlenden Verweis auf § 177 VwGO in § 122 Abs. 1 VwGO sowie Kilian/Hissnauer in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 122 Rn. 16). Demgemäß ist es zulässig, dass Beschlüsse einen vollständigen Tatbestand enthalten oder nur einen verkürzten Tatbestand zur besseren Orientierung beim Lesen der tragenden Erwägungen. Das Gericht darf auch – wie der Senat in diesem Beschluss – auf einen Tatbestandsteil ganz verzichten.
Randnummer 28
Der Antragsteller meint zum andern, dass Verwaltungsvorschriften als Willenserklärungen auslegungsbedürftig seien. Das Verwaltungsgericht hätte die Behörde nicht wie ein Gesetz auslegen dürfen und stattdessen den Willen der Behörde erforschen müssen. Der Antragsteller zeigt nicht auf, an welcher Stelle des 19-seitigen Beschlusses dem Verwaltungsgericht dieser angebliche Fehler unterlaufen sein soll und bei welcher Regelung sich die behördliche Willensentscheidung oder Praxis von der Richtlinie entscheidungserheblich entfernt hätte, geschweige denn, was sich daraus zum Vorteil des Antragstellers ergäbe.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich vor längerer Zeit schon einmal in einem Beschluss vom 25.02.13 ein wenig skeptisch dazu geäußert, dass Beurteilungsrichtlinien nicht von dem Gesetzgeber verantwortet werden und es möglicherweise an angemessen konkreten gesetzlichen Regelung fehlt.
Der Beschluss widmete sich zwei beurteilungsrechtlichen Problemen:
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25.02.13, BVerwG 2 B 104.11
Ein Oberregierungsrat wendet sich gegen seine Regelbeurteilung.Er macht u. a. geltend, dass die dienstliche Beurteilung nicht alle von ihm wahrgenommenen wesentlichen Aufgaben erfasse und die Bildung des Gesamturteils auf einer unzulässigen Arithmetisierung beruhe.
Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine erneute Beurteilung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die dienstliche Beurteilung sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten.
1. ... [Das Bundesverwaltungsgericht äußert sich zur rechtlichen Qualität von Beurteilungsrichtlinien.]
Beurteilungsrichtlinien sind keine Rechtsnormen. Ihre Aufgabe ist es, gleiche Bewertungsmaßstäbe bei dem Leistungsvergleich nach Art. 33 Abs. 2 GG herzustellen (stRspr, vgl. zuletzt Urteil vom 26.09.12 - BVerwG 2 A 2.10 - NVwZ-RR 2013, 54 Rn. 9).
Für die Rechtmäßigkeit einer dienstlichen Beurteilung kommt es nicht entscheidend auf den Wortlaut einer Beurteilungsrichtlinie an, sondern darauf, welchen Bedeutungsgehalt die Beurteiler den Begrifflichkeiten (tatsächlich) beimessen.
Wird bei einer Beurteilungskampagne einzelnen Begrifflichkeiten einer Beurteilungsrichtlinie von den Beurteilern einheitlich ein Aussagegehalt beigelegt, der von der Definition in der Beurteilungsrichtlinie abweicht, kann deshalb sogar eine dienstliche Beurteilung, bei der sich der Beurteiler an die Notendefinition der Richtlinie gehalten hat, rechtswidrig sein.
Auch ist das Gebot der Gleichbehandlung bei dienstlichen Beurteilungen bereits dann verletzt, wenn in Teilbereichen des Verwaltungszweiges, für den einheitliche Beurteilungsrichtlinien erlassen worden sind, aufgrund eines unterschiedlichen Verständnisses des Inhaltes von Bewertungsmaßstäben eine uneinheitliche Beurteilungspraxis eingetreten ist.
[Das Gericht äußert sich dann zu der Frage, ob sämtliche dem Beamten übertragenen Aufgaben in der Beurteilung bezeichnet sein müssen.]
Insofern ist darauf hinzuweisen, dass zwar der Umstand, dass in einer dienstlichen Beurteilung bei der „Kurzbeschreibung“ der dienstlichen Tätigkeit bestimmte Aufgaben nicht erfasst werden, grundsätzlich ein Indiz dafür sei kann, dass die dienstliche Beurteilung unvollständig ist. Entscheidend für die Rechtmäßigkeit einer Beurteilung ist aber nicht, ob alle Aufgaben des Beamten in der informatorischen Mitteilung über seine Tätigkeiten im Beurteilungszeitraum aufgenommen worden sind, sondern allein, ob die die vom Beamten im zu beurteilenden Zeitraum wahrgenommenen Aufgaben vollständig bei der Beurteilung von Eignung, Leistung und Befähigung berücksichtigt worden sind. Dies ist hier nach den insoweit von der Beschwerde nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen der Fall.
Aus diesem Grund liegt auch nicht die von der Beschwerde in diesem Zusammenhang gerügte Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, nach der die dienstlichen Beurteilungen die dienstliche Tätigkeit im maßgebenden Beurteilungszeitraum vollständig erfassen müssen (stRspr, vgl. Urteile vom 26.09.12 a.a.O. Rn. 13 und vom 04.11.10 - BVerwG 2 C 16.09 - BVerwGE 138, 102, Rn. 47 m.w.N.).