Verwertung des Inhalts anderer Akten im Disziplinarverfahren
In Disziplinarsachen sollen die Behörden (und ggf. die Disziplinargerichte) sich ein eigenes, möglichst unmittelbares Bild verschaffen. Sie sollen also eigene Ermittlungen führen, Zeugen selbst anhören usw.Von diesem Grundsatz gibt es Ausnahmen, zum Beispiel die sog. Bindungswirkung von Strafurteilen.
Aber natürlich greifen Ermittlungsführer, insbesondere wenn sie noch unerfahren sind und die disziplinarrechtlichen Regeln noch nicht kennen oder besonderen Verfolgungseifer entwickeln und Hemmnisse ungern sehen, auf jede Art von Information zurück.
Da werden Zeitungsausschnitte kopiert oder gar aus anderen Akten Disziplinarakten zusammen gestellt, ohne dass im Disziplinarverfahren Zeugen eingeladen werden.
Das alles kann in einem gefährlichen Maße die Rechte des Beamten und seines Bevollmächtigten beeinträchtigen, nämlich das Recht auf Beweisteilhabe, das Fragerecht ...
§ 26 Abs. 3 HmbDG scheint hier auf den ersten Blick eine Schleuse geöffnet zu haben.
Aber der Wortlaut greift zu kurz, wie aus der unten erwähnten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ersichtlich ist.
§ 26 Abs. 3 HmbDG:
Niederschriften über Aussagen von Personen, die schon in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren vernommen worden sind, sowie Niederschriften über einen richterlichen Augenschein können ohne erneute Beweiserhebung verwertet werden.
Niederschriften über Aussagen von Personen, die schon in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren vernommen worden sind, sowie Niederschriften über einen richterlichen Augenschein können ohne erneute Beweiserhebung verwertet werden.
Früher wurde der Beamte ausdrücklich gefragt, ob er der Verwertung zustimme.
Verweigerte er die Zustimmung, wurde eine erneute Beweiserhebung notwendig.
Dies hatte seinen guten Sinn: Es besteht jetzt die Gefahr, dass Niederschriften über Aussagen verwertet werden, ohne dass dem Beamten und seinem Beistand die Möglichkeit gegeben wird, den Auskunftspersonen Fragen zu stellen und dadurch Ungereimtheiten aufzudecken.
Schon so manche vermeintlich sichere Erinnerung hat sich bei eingehender Befragung als Trugbild erwiesen.
Das Fragerecht kann von grundlegender Bedeutung sein, wenn ein Geschehen aufgeklärt werden soll.
Deshalb sollte man als Betroffener bzw. als Bevollmächtigter auf das Fragerecht nicht verzichten und sich ggf. auf das Bundesverwaltungsgericht beziehen.
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 04.09.08 - BVerwG 2 B 61.07 -
Der im gerichtlichen Disziplinarverfahren geltende Grundsatz der unmittelbaren Beweiserhebung durch das Verwaltungsgericht verbietet es, eine bestrittene, beweisbedürftige Tatsache statt im Wege des Zeugenbeweises durch Verlesen von Vernehmungsprotokollen des behördlichen Disziplinarverfahrens oder anderer gesetzlich geordneter Verfahren festzustellen.Das Verwaltungsgericht darf die in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen nach § 57 Abs. 2 BDG seiner Entscheidung nur dann ohne erneute Prüfung zugrunde legen, wenn sie nicht bestritten werden.
Dies sollte auch die Maßstäbe für die Bewertung des Vorgehens im behördlichen Disziplinarverfahren vorgeben.
Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Auffassung aber noch einmal konkretisiert, so weit das behördliche Verfahren betroffen ist.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28.09.22 - BVerwG 2 A 17.21 -
Leitsätze1. Die Verwertung schriftlicher Zeugenaussagen im behördlichen Disziplinarverfahren nach § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BDG begründet keinen Verfahrensmangel. Sofern die Glaubwürdigkeit eines Zeugen oder die Glaubhaftigkeit seiner Aussagen in Zweifel stehen, bildet eine nur auf schriftlichen Äußerungen beruhende Zeugenaussage aber keine hinreichende Tatsachengrundlage für eine fehlerfreie Beweiswürdigung.