Disziplinarrecht: Aberkennung des Ruhegehalt nach § 12 Bundesdisziplinargesetz
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29.10.07, 2 BvR 1461/06
Es verstößt nicht gegen Art. 33 V GG, dass wegen Bestechlichkeit nach Disziplinarrecht das Ruhegehalt eines Beamten aberkannt wird.
Ein inzwischen pensionierter Amtmann, der bei einem Ordnungsamt tätig gewesen war, hatte gegen Zahlung eines größeren Geldbetrages eine Fahrerlaubnis an einen Nichtberechtigten erteilt.
Mit Ablauf des Monats Juni 2001 wurde der Beschwerdeführer wegen Dienstunfähigkeit in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.
Die Disziplinargerichte erkannten ihm das Ruhegehalt ab.
Das Bundesverfassungsgericht nahm seine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.
Es verstößt nicht gegen Art. 33 V GG, dass wegen Bestechlichkeit nach Disziplinarrecht das Ruhegehalt eines Beamten aberkannt wird.
Ein inzwischen pensionierter Amtmann, der bei einem Ordnungsamt tätig gewesen war, hatte gegen Zahlung eines größeren Geldbetrages eine Fahrerlaubnis an einen Nichtberechtigten erteilt.
Mit Ablauf des Monats Juni 2001 wurde der Beschwerdeführer wegen Dienstunfähigkeit in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.
Die Disziplinargerichte erkannten ihm das Ruhegehalt ab.
Das Bundesverfassungsgericht nahm seine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.
1. Die angegriffenen Urteile der Disziplinarkammer beim Verwaltungsgericht und des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Recht auf ein faires, rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechendes Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
a) Sie verstoßen insbesondere nicht gegen die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung. Die Unschuldsvermutung, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren Anwendung findet (vgl. BVerwGE 111, 43 <44 f.>), schützt den Beschuldigten vor Nachteilen, die Schuldspruch oder Strafe gleichkommen, denen aber kein rechtsstaatliches und prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung und Strafbemessung vorausgegangen ist.
Mit Rücksicht auf die Unschuldsvermutung und das rechtsstaatliche Fairnessgebot im Allgemeinen haben sich in der Rechtsprechung strenge Anforderungen auch an die tatrichterliche Beweiswürdigung herausgebildet. Zur Widerlegung der Unschuldsvermutung bedarf es danach der vollen Gewissheit des Tatrichters über den Tathergang, die dieser aufgrund freier Beweiswürdigung aus dem Inbegriff der Verhandlung schöpfen muss. Erforderlich ist ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht mehr aufkommen. Zur Überführung eines Angeschuldigten ist keine "mathematische Gewissheit"“ von dessen Schuld erforderlich. Der Beweis muss jedoch mit lückenlosen, nachvollziehbaren und logischen Argumenten geführt sein. Die Beweiswürdigung muss auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruhen und erschöpfend sein. Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinander zu setzen und seine Beweiswürdigung in den Urteilsgründen darzulegen.
Nicht jeder Verstoß gegen diese Grundsätze rechtfertigt indes das Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts. Voraussetzung ist vielmehr, dass sich die Gerichte so weit von der Verpflichtung entfernt haben, in Wahrung der Unschuldsvermutung auch die Gründe, die gegen die mögliche Täterschaft sprechen, wahrzunehmen, aufzuklären und zu erwägen, dass der rationale Charakter der Entscheidung verloren gegangen scheint und sie keine tragfähige Grundlage mehr für die mit einem Schuldspruch einhergehende Sanktion sein kann.
Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Die Beweiswürdigung sowohl der Disziplinarkammer als auch diejenige des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs entsprechen vielmehr in vollem Umfang den in der fachgerichtlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen. Beide Gerichte haben sich ausführlich mit den für und wider die Schuld des Beschwerdeführers sprechenden Gesichtspunkten auseinandergesetzt und ihre schlussendliche Überzeugung vom Vorliegen eines Dienstvergehens und der Schuld des Beschwerdeführers mittels einer lückenlosen und nachvollziehbaren Argumentation begründet. Insbesondere haben sich die Gerichte ausführlich mit den entlastenden Aussagen des Beschwerdeführers und der Zeugen im Untersuchungs- und im gerichtlichen Disziplinarverfahren befasst und diese in nicht zu beanstandender Weise als unglaubwürdige Schutzbehauptungen und Gefälligkeitsaussagen eingestuft. Die Behauptung des Beschwerdeführers, die Gerichte hätten sich allein auf die Einschätzung des Landgerichts in seinem Einstellungsbeschluss gestützt, weshalb es an einer eigenständigen Beweiswürdigung durch die Disziplinargerichte fehle, ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar.
b) Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer auch nicht deshalb in seinem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil die Gerichte nicht verwertbare Beweismittel in ihre Beweiswürdigung einbezogen hätten.
aa) Die in dem vorangegangenen staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren zustande gekommenen Aussagen des Beschwerdeführers und der Zeugen G., F. und Dr. K. durften in dem Disziplinarverfahren verwertet werden. Nach § 67 Abs. 2 Satz 1 der Hessischen Disziplinarordnung (HDO) können auch die in einem anderen gesetzlich geordneten Verfahren erhobenen Beweise der Urteilsfindung zugrunde gelegt werden, soweit sie Gegenstand der Hauptverhandlung waren. Zu den anderen gesetzlich geordneten Verfahren im Sinne dieser Vorschrift gehört auch das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren (vgl. BVerwGE 63, 339 <340>). Auch haben die Gerichte die betreffenden Aussagen - soweit sich dies nach Aktenlage beurteilen lässt - verfahrensfehlerfrei zum Gegenstand der mündlichen Verhandlungen gemacht.
bb) Der Berücksichtigung der selbstbelastenden Angaben des Beschwerdeführers aus dem staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren stand auch kein Beweisverwertungsverbot aus § 21 Satz 1 HDO in Verbindung mit § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO entgegen. Die Gerichte haben das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe sich im staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren nur deshalb geständig eingelassen, weil ihm angedroht worden sei, dass er ohne Geständnis niemals aus der Untersuchungshaft herauskommen würde, mit nachvollziehbaren Argumenten als nicht glaubhafte Schutzbehauptung eingestuft. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers waren die Gerichte insoweit auch nicht zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet. Angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer zum maßgeblichen Zeitpunkt zwei Verteidiger hatte, mussten seine diesbezüglichen Behauptungen als abwegig erscheinen. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, welcher weiteren (geeigneten) Erkenntnismittel die Gerichte sich insoweit hätten bedienen können.
2. Die Aberkennung des Ruhegehalts verletzt den Beschwerdeführer auch nicht in seinen Rechten aus Art. 33 Abs. 5 GG. Zwar sind der Kernbestand der beamtenrechtlichen Versorgungsansprüche durch Art. 33 Abs. 5 GG ebenso gesichert wie die Renten der Sozialversicherung durch Art. 14 GG (vgl. BVerfGE 16, 94 <115>; 39, 196 <200>). Dieser Schutz findet seine Grenzen indes seit jeher in den disziplinarrechtlichen Vorschriften über die Aberkennung des Ruhegehalts, die - wie das Disziplinarrecht insgesamt - dem Interesse der Allgemeinheit an der Sauberkeit und Funktionsfähigkeit des Beamtentums zu dienen bestimmt sind. Da diese Bestimmungen hier in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise angewendet wurden, scheidet eine Verletzung von Art. 33 Abs. 5 GG aus.
Im Falle der Aberkennung des Ruhegehalts erfolgt ebenso wie bei der Entfernung des aktiven Beamten aus dem Beamtenverhältnis eine Nachversicherung Altersgeld in der Rentenversicherung. Unter Umständen greifen die neueren gesetzlichen Vorschriften über das sog. Altersgeld.